Wolke 8...
diesem Tag jedes Mal wieder so nahe wie sich Mann und Frau nur sein können.
Ich schicke einen zärtlichen Gedanken zu meinem Angetrauten ins Kulturhaus, wo mein Roland als Tenor in einem Chor singt. Hoffentlich kommt er heute pünktlich von der Probe!
Früher, ja, da bin ich manchmal mitgegangen.
Aber diese ewigen „Aaaaaaahs“, „Ooooooohs“ oder „Brrrs“, die mehr als zwanzig gestandene Mannsbilder zu Beginn jedes Mal ausstießen, haben mich eher zum Lachen gebracht als zum andächtigen Zuhören. Der Dirigent tat sein Übriges: „Richtig ausstöhnen", schrie er, "nicht so lasch!“ Also stöhnten die Männer, immer und immer wieder. Zu guter Letzt haben sie sich auch noch mit den Fäusten auf die Brust getrommelt - wie die Affen.
Nein, das war wirklich nichts für mich. So nutzte ich schon bald die Zeit der Chorprobe für mich, gestattete mir hin und wieder einen ausgiebigen Einkaufsbummel, was wiederum meinen Mann nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hinriss.
Aber dass ich mir Getue ums Luft holen nicht länger anschauen und anhören wollte, verstand er. Ich hätte ja auch dauernd mein Lachen unterdrücken müssen, was wiederum ungesund ist.
Dabei sollen diese Atemübungen eine wirklich ernsthafte Angelegenheit sein, wie mir mein Mann seit Jahren glaubhaft versicherte.
Natürlich weiß ich auch, dass Männer ihren ernsthaften Angelegenheiten ungestört nachgehen müssen, ich toleriere das und drücke auch mal ein Auge zu, wenn es nach der Probe noch ein wenig dauern sollte mit dem Heimkommen.
Aber heute? Nein, heute nicht!
So, die Gläser blitzen in der Sonne. Sie geben dem festlich gedeckten Tisch den letzten Schliff.
Ich gehe zum Fenster und denke:
Ach, gar nicht so übel, dieser Tag, wenigstens regnet es nicht.
Ich bin zu früh fertig, wie oft bei wichtigen Angelegenheiten. Meine Gedanken wandern zurück. Zweiundzwanzig Jahre und ein paar Monate – in die schwerste Zeit unseres Lebens. An Singen war damals nicht zu denken. Der Chor musste monatelang ohne den strahlenden Tenor meines geliebten Mannes auskommen.
Und von einem Moment zum anderen sehe ich alles wieder ganz genau vor mir:
*
Mein Mann klammerte sich am Treppengeländer fest. Er brauchte schon seit Wochen diesen Halt. Jede einzelne Stufe wurde zur Qual, er schnappte mühsam nach Luft, die Schmerzen schienen noch immer nicht nachzulassen.
Sein Anblick drohte, mir das Herz zu zerreißen, aber ich ließ mir nichts anmerken. Ihn störte es, wenn jemand ihn so sah, so schwach, so hilflos. Und wenn man ihm dann auch noch sein Mitleid kundtat, konnte ihn das rasend machen. Auch wenn dieser Jemand seine eigene Frau war.
Ich lernte schnell, dass ich ihn in solchen Momenten am besten überhaupt nicht ansprach.
Ich wusste das alles ganz genau, aber trotzdem konnte ich manchmal nicht an mich halten.
„ Du brauchst Hilfe, geh doch bitte zum Arzt!“
Ich konnte nicht mehr anders.
Bestimmt gibt es keinen Satz, der in unserer Familie damals so oft gesprochen wurde wie dieser - von den Kindern, von mir, von seiner Mutter oder von Freunden. Aber wer auch immer diese Bitte äußerte, ob leise und sanft oder laut und nachdrücklich, es brachte nichts. Mein Mann überhörte solche Bitten geflissentlich.
Es gab für ihn Wichtigeres: die Koordinierung der Aufträge, den Jahresabschluss in der Firma. Wenn er so argumentierte, musste ich den Raum verlassen, um nicht unsachlich zu werden. Es kam so weit, dass ich in solchen Momenten auch manchmal resignierte, um mich gleich darauf dafür zu schämen.
Umso mehr ab dem Tag, von dem an ich weder mehr bitten noch fordern konnte. Mir fehlte die Kraft dazu, weil ich ja wusste, dass Worte bei ihm wohl nichts ausrichten würden.
Ich kannte meinen Roland schließlich damals schon seit mehr als drei Jahrzehnten, seine Akribie, mit der er seine Arbeit erledigte - und seinen manchmal schon störrischen Dickkopf.
Trotzdem: Aufgeben kam für mich gar nicht in Frage! Ich durfte nicht mehr nur reden, ich musste etwas tun!
Mein Mann galt überall als ganzer Kerl. Ein Kerl wie ein Baum! So nannten ihn alle.
Und doch war dieser Baum seit geraumer Zeit ins Wanken geraten. Um ein Haar hätte ihn das Schicksal ganz und gar gefällt.
Mich fröstelte bei diesem Gedanken.
Der Jahresabschluss war irgendwann geschafft, der Arztbesuch nun nicht mehr aufzuschieben. Zum Glück zeigte sich mein Mann diesmal erstaunlich einsichtig. Doch die Entscheidung des behandelnden Arztes ängstigte mich: Mein Mann musste gleich
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