Worm
Vorsichtsmaßnahmen ergreifen würde … Aber das war natürlich vollkommen utopisch. Es war schon schwer genug gewesen, die Aufmerksamkeit der Leute zu gewinnen, als Schadsoftware noch primitiv war, als sie sozusagen mit schmutzigen Stiefeln hereintrampelte und die Fersen in die Festplatten stemmte. Wie konnte man nun, da Schadprogramme so gut getarnt waren, dass nur höchst wachsame und bestens ausgebildete Techniker sie aufzuspüren vermochten, darauf hoffen, die Leute wachzurütteln? Wenn es zudem weniger darum ging, den einzelnen Rechner zu schützen als vielmehr das Internet an sich? Die Leute würden das niemals kapieren, und wenn doch, dann fehlte es ihnen an der nötigen Disziplin. In einer freien Gesellschaft kann man nicht einfach auf die Rechner der Menschen zugreifen und die Software für sie installieren – man stelle sich die empörten Aufschreie vor, die verheerende PR und die Sammelklagen, die es hageln würde, täte man es doch. Big Brother, der in den Eingeweiden Ihres privaten Rechners herumwühlt? Ein eklatanterer Verstoß gegen das Ideal vom Techno-Utopia ist kaum vorstellbar. Daraus folgt, dass dieses milliardenköpfige und weltweit vernetzte Wunderwerk jederzeit verwundbar ist und ausgebeutet werden könnte. Mehr noch, es ließe sich in eine Waffe verwandeln. Es könnte gelähmt oder sogar zerstört werden, wann immer einer technisch beschlagenen Cybergang oder auch nur ein paar Kids mit Asperger-Syndrom, die mit dem falschen Fuß aufgestanden sind, danach wäre. Und selbst wenn man alles richtig machte, wenn man den gemeinen Exploit antizipierte und den Patch in Rekordzeit veröffentlichte, dann würde man alles nur noch schlimmer machen!
Und tatsächlich, kaum war MS 08-067 draußen, schoss die Nachfrage nach dem chinesischen Exploit-Bausatz so schnell in die Höhe, dass seine Schöpfer dazu übergingen, ihn zu verschenken. In Asien kam es zu einem neuerlichen Gimmiv-Ausbruch, wobei den Sicherheitsexperten weniger der amateurhafte Gimmiv selbst Sorgen bereitete als vielmehr das Potenzial, das sie in dem Trojaner erkannten.
»W enn die bösen Kerle herausfinden, wie sie das verwenden können, stecken wir in großen Schwierigkeiten«, schrieb Eric Sites, ein Forscher bei dem Sicherheitssoftware-Entwickler Sunbelt, und er warnte, dass sich damit »kinderleicht« eine professionelle Schadsoftware, wie zum Beispiel ein Wurm, erzeugen ließe, mit dem Potenzial, » immense Schäden anzurichten«.
28 Tage nach der Veröffentlichung von MS 08-067 tauchte genau so ein Wurm in dem Infektionslogbuch von Phil Porras beim SRI auf und bahnte sich gleichzeitig rund um die Welt seinen Weg in ungeschützte Computer.
Und niemand, niemand war weniger überrascht als T. J. Campana.
3
Remote Thread Injection
Wenn er hierher gekommen ist, dann aus einem bestimmten Grund. Ein Grund, noch finsterer, als Sie sich vorstellen können, Sir.
– The Amazing X-Men
Hassen Saidi nahm es persönlich, als sich die Entpackungssoftware des SRI die Zähne an dem neuen Wurm ausbiss. Die Software, mit der Schadprogramme geknackt und die sie umgebenden Schichten aus schützendem und tarnendem Code durchschnitten werden können, war von Hassen und dem Doktoranden Monirul Sharif entwickelt und auf den Namen Eureka getauft worden. Eine Schadsoftware, die dem Programm widerstand, stellte eine persönliche Herausforderung und eine Chance dar, Eureka weiter zu verbessern.
Hassen ist in Phil Porras’ Team für die Datenflussanalyse zuständig. In Algerien geboren, hatte er in Frankreich seinen Doktor in Computerwissenschaften gemacht, bevor das SRI ihn nach Menlo Park geholt hatte. Für Hassen, der fest zum Lager der Internetidealisten gehört, ist das World Wide Web eine der revolutionärsten Entwicklungen in der Menschheitsgeschichte, und er hält alle Versuche, ob von Kriminellen, von Nihilisten oder von Terroristen, es zu missbrauchen, für verabscheuungswürdig. Die Welt, wie wir sie kennen, hängt in zunehmendem Maße von der reibungslosen Interaktion von Computern ab. Das Internet ist zum kollektiven Verstand der Menschheit geworden, zu ihren Augen, zu ihren Ohren und zu ihrem Gedächtnis. Seit alte, papiergebundene Quellen digitalisiert und archiviert werden und die moderne Zivilisation ihre Spuren zunehmend im digitalen Reich hinterlässt, ist das Internet gleichsam zur neuen Bibliothek von Alexandria geworden. Gerade Sicherheitsexperten wie Hassen ist bewusst, wie leicht sie niedergebrannt werden
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