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Worte der weißen Königin

Worte der weißen Königin

Titel: Worte der weißen Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Michaelis
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dass ich es war, der dies hier erledigen musste? Er verstand. Er flog dicht über den Kopf des schwarzen Königs hinweg und stieg in den blauen Himmel auf, hoch über die Klippen, wo er zu kreisen begann. Er beobachtete uns noch immer. Er ließ mich nicht im Stich. Aber er ließ mich tun, was ich tun musste.
    »Geh!«, sagte ich und deutete mit dem Gewehr zur Kante der Klippe. »Geh dorthin.«
    Der schwarze König ging langsam rückwärts, die Hände erhoben, wie in einem Film, und ich folgte ihm. Olin ging neben mir.
    Der schwarze König fragte nicht, wer sie sei. Vielleicht wusste er es. Einmal sah er sie an.
    »Weiter!«, befahl ich. »Geh weiter rückwärts. Noch weiter. So. So ist es gut.«
    Er stand jetzt direkt am Abgrund, dort, wo unten der steinige Strand lag. Dort, wo man einen Sturz nicht überleben konnte. Ich trat ganz nahe an ihn heran, so nahe, wie das Gewehr es erlaubte. Nicht zu nahe. Nicht so nahe, dass er mir den Lauf aus den Händen schlagen konnte.
    »Bitte«, sagte der schwarze König leise. »Hör mir zu. Hör mir nur noch einmal zu.«
    »Nein«, sagte Olin. »Tu es nicht.«
    »Bitte«, sagte der schwarze König.
    Ich hielt das Gewehr auf seine Brust gerichtet, auf sein Herz, wenn er eines hatte. Es war schwer, das Gewehr so ruhig zu halten. Es war für Erwachsene gemacht, und ich war erst elf Jahre alt. Ich war erst elf Jahre alt, und ich würde meinen Vater die Klippen hinunterschicken, in den Tod. Ich war erst elf Jahre alt, und ich war so müde.
    »Ich höre«, sagte ich.
    »Es tut mir so leid«, sagte der schwarze König. »Es tut mir so unendlich leid. Sie haben mich gefunden, lange nachdem du weg warst. Wochen. Ich hatte Glück. Sie haben mich in die Klinik gebracht, und ich war lange, lange dort. Es war eine schreckliche Zeit. Ich wollte aufgeben. Aber dann dachte ich an dich und daran, dass ich dich finden musste.«
    »Du hast mich gefunden«, sagte ich. »Immer wieder. In meinen Träumen. Um mich zu bestrafen.«
    Da war es, als zerbräche das Gesicht vor mir in Scherben, wie die Flaschen.
    »Nein«, flüsterte er. »Nein! Weil ich wollte, dass du nach Hause kommst. Ich will es noch immer. Ich bin wieder zu Hause, und alles ist anders. Es gibt keine Flaschen mehr im Schuppen … und nirgendwo sonst. Als ich dir nachgerannt bin, in die Sandgrube … da wollte ich dir das sagen. Alles ist besser geworden. So wie ganz früher, als es nur uns beide gab.«
    »Aber so kann es nie wieder werden«, sagte ich. »Es gibt die Worte in den Büchern, die ich liebe und die du hasst. Es gibt die Adler. Die Adler sind jetzt meine Familie. Eine bessere Familie als jede andere. Du hast einen von ihnen erschossen. Beinahe zwei. Den zweiten habe ich gerettet. Er fliegt dort oben über uns am Himmel, zusammen mit dem Adler, der dich angegriffen hat. Ich kenne ihre Namen und ich kenne ihre Jungen. Ich habe in ihrem Horst geschlafen. Ich bin einer von ihnen.«
    »Die Adler … sind frei«, sagte er. »Es ist deshalb. Deshalb habe ich sie gehasst. Sie können überallhin und …« Er verstummte.
    Ich spürte, dass er keine Worte mehr hatte. Er hatte nie viele Worte gehabt. Und ich dachte, wenn ich ihm all jene Bücher vorlese, so wie Olin, dann könnte er sich vielleicht ändern. Dann könnte er verstehen. Wie wichtig Worte waren. Und dass man mit Worten überall hinkam.
    »Schick ihn über die Klippe«, flüsterte Olin. »Tu es jetzt.«
    »Verzeih mir«, sagte er.
    »Keinem kann verziehen werden«, sagte Olin, »der sein eigenes Kind quält.«
    Ich holte tief Luft. »Was soll ich dir verzeihen?«, fragte ich.
    Er sah zu Boden. »Ich … ich kann es nicht sagen«, murmelte er. »Ich kann nicht darüber sprechen, was geschehen ist. Ich … erinnere mich nicht richtig …«
    »Doch«, sagte ich, »das tust du.« Und ich wusste, dass ich grausam war. Ich konnte nicht anders. Es musste sein. »Sag es«, flüsterte ich, das Gewehr noch immer in den Händen. »Sag die Worte. Sag: Ziegenstrick und Bestrafen . Sag: Zusammengekrümmt . Sag: Blut. Sag: Holzleiste und Zerbrochene Flasche. Sag: Keller und Kälte und Dunkelheit und Angst … «
    Ich merkte, dass mein Vater weinte. Und ich wusste, dass er nicht mehr der schwarze König war. Er weinte hemmungslos, wie ein kleines Kind, und dann zog er sein Hemd aus.
    »Dein Adler«, flüsterte er. »Er hat mich nicht getötet, aber er hat sich an mir gerächt.«
    Er drehte sich um, und ich sah, dass er die gleichen Narben auf seinem Rücken trug, die wahrscheinlich

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