Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
dieser wunderbaren Nacht war es, daß
die Blüte der Rennefarre in der Mitternachtsstunde in die Schuhe der kleinen
Dott gefallen war, so daß sie für das Auge der Menschen unsichtbar wurde.
Aber ohne daß sie selbst es wußte,
gingen ihr zu gleicher Zeit die Augen auf für viele verborgene Dinge und
Geheimnisse, ihre Ohren öffneten sich für die Sprache der Tiere, und
unversehens konnten die vergangenen Jahrhunderte sich vor ihr auftun.
In dieser Nacht war es, daß die
abenteuerliche und große Reise der kleinen Dott begann.
Das
Feuermännchen
Einsam brannte das Feuer neben der
Kleinen. Sie dachte daran, daß die Mittsommerfeuer angezündet wurden, um die
Geister der Finsternis und alles Böse zu verscheuchen — ja, ein solches Feuer,
das konnte Dott jetzt wohl brauchen! Und nicht nur dieses eine Feuer brannte,
überall in der ganzen Mark Brandenburg brannten jetzt die Johannisfeuer, und
das eine grüßte das andere durch die Nacht, als sagten sie: Ihr seid nicht
allein! Wir sind da!
Dott saß ganz still und starrte in die
Flammen, bis sie zu erlöschen begannen. Sie hatte jetzt über vieles
nachzudenken, vor allem darüber, ob Vater Gnilica den Eltern wohl alles über
ihr Unglück erzählt hatte und was Vater und Mutter wohl darüber dachten.
Plötzlich aber schien es der Kleinen,
als hüpfte etwas Lebendiges durch die Flammen. Es hatte ein rotes Mützchen auf
dem Kopf. Und jetzt blinzelte es unter seinem Zottelhaar zu ihr hinüber.
»Der Rote Junge«, dachte Dott.
Sie hatte ihn gleich erkannt. Das war
Rotmützchen, der Feuerkobold, den die Märker auch den Roten Jungen nannten.
Dott hatte seine Gestalt als Stehaufmännchen auf dem Jahrmarkt gekauft und auf
ihrem Bücherbord stehen.
»Hallo, du!« rief der Kobold und nickte
ihr zu.
»Nein. Ich rühre mich nicht«, dachte
Dott. »Der Rote Junge ist voll von Schabernack. Das beste ist, ich tu so, als
ob ich nichts höre.«
»Du! Das Feuer geht aus!« rief der
Kobold wieder. »Willst du nicht so gut sein und etwas Holz nachlegen? — Wer
kein Holz zum Feuer legt, erreicht das ew’ge Leben nicht!«
»Den Spruch kenn' ich längst!« dachte
Dott und preßte die Lippen zusammen. — »Warum hätten sie denn sonst alle
zusammen das Holz hierher geschafft?«
Als sie aber sah, wie der Junge immer
unruhiger wurde, da konnte sie selbst plötzlich nicht mehr ruhig sitzen
bleiben.
»Das Feuer geht ja wirklich aus!«
dachte sie. Und ohne weiter auf den Kobold zu achten, sprang sie auf und warf
einen Kiefernzweig nach dem andern in die sterbenden Flammen, bis sie wieder zu
prasseln und zu lodern begannen.
»Recht so, Menschenkind!« sagte der
Kobold und lachte. »Jetzt aber paß einmal ganz genau auf! Weil du mir etwas
Gutes getan hast, will ich dir ein Geheimnis verraten. — Dies ist die Nacht, in
der du die Schätze der Unsichtbaren gewinnen kannst! In dieser Nacht kannst du
den Schlangenkönig auf einem weißen Tuche tanzen sehen. Du brauchst nur rasch
das Laken unter ihm wegzuziehen, sieh — so! Dann muß er dir seine Krone
lassen!«
Der Kobold blickte gespannt auf die
Kleine. Die aber sah nicht gerade danach aus, als hätte sie Lust, die Krone des
Schlangenkönigs zu gewinnen.
»Also, das hast du dir für mich
ausgedacht!« sagte sie und verzog den Mund. »Da will ich dir nur sagen:
Ungehorsam kann ich wohl einmal sein, aber den armen Schlangenkönig überlisten
und ihm seine Krone rauben, so etwas würde ich niemals tun!«
»Höre nur weiter, Menschenkind! Ich
weiß noch mehr. — In dieser Nacht kannst du die blaue Wunderblume pflücken. Mit
der kannst du die Felsentore sprengen und die Schätze der Geisterwelt
gewinnen!«
Der Feuerkobold schaute wieder
forschend auf die Kleine. Die aber hatte die Lippen fest geschlossen. In dieser
Nacht hatte sie einen solchen Schatz verloren, daß sie auch nach der
leuchtenden Wunderblume kein Verlangen hatte.
Als der Kobold auch jetzt keinerlei
Begehren in den Augen der Kleinen entdeckte, strahlte sein breites Gesicht vor
Freude. — »Nun höre gut zu, Menschenkind! Es kann für dich und für viele von
Nutzen sein. — In dieser Nacht tauchen aus den Waldseen die versunkenen Glocken
auf und beginnen voll Sehnsucht zu läuten. Die verwunschenen Prinzessinnen
locken den Wanderer in den Zauberberg, damit er sie aus ihrem Bann befreit. An
den Seen und Flüssen kannst du hören, wie die Nixen nach dem Menschen rufen,
damit er ihnen die Seele schenkt. Denn du mußt wissen, Menschenkind: alle
Geister des Wassers
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