Yoga Bitch
ausgerastet. Das Schlimme ist – er hat recht …«
»Aber ist das nicht normal, dass man so wird?«, fragte ich. Alev tat mir so leid. »Ich meine, bis zu einem gewissen Grad? Muss Liebe das nicht verkraften können?«
»Ach, ich weiß nicht.«
»Aber bitte. Wenn das nicht normal ist, weiß ich es auch nicht. Du wirst in Zukunft noch viel unausstehlicher sein als jetzt. Das muss eine Beziehung aushalten können, finde ich. Du Ärmste, du tust mir so leid. Ich komme sofort vorbei, wenn du willst.«
»Ja.«
Später schluchzte Alev an meiner Schulter viel Unverständliches, und ich tröstete sie. Irgendwann putzte sie sich die Nase, sah mich an und sagte: »Danke, dass du hier bist. Ich hatte in letzter Zeit kaum was von dir.«
»Oh Gott. Wirklich? Hab’ ich dich so schlimm vernachlässigt?«
»Ach, was heißt schlimm? Man sieht dich kaum noch, und das ist schade.«
»Okay, das wird sofort geändert.« In dem Moment, in dem ich es aussprach, wusste ich, welche Prioritäten ich zu setzen hatte.
*
Für jeden Yogi gibt es bestimmte Asanas, vor denen er besonderen Respekt hat oder sich gar fürchtet. Für mich war dies das Shirshasana, der Kopfstand. Er erschien mir unglaublich weit von meinen Fähigkeiten entfernt, nicht greifbar und sogar gefährlich. Wir hatten ein paarmal geübt, in den Kopfstand zu gehen, ohne ihn ganz auszuführen, und bei dieser Übung, das musste ich zugeben, war es tatsächlich sinnvoll, wenn einem jemand dabei assistierte. Mir assis-
tierte der hübsche Hippiejunge, als ich mich hinkniete, meine Finger ineinandersteckte und mich dann mit ausgestreckten Beinen immer näher an meinen Kopf vorarbeitete. Tanja sagte, man könne dann das eine Knie anknicken und hochstrecken und dann vielleicht auch das andere. Ich tat genau das, und ohne es eigentlich vorzuhaben, stand ich plötzlich auf dem Kopf. Ganz von alleine! Das konnte doch nicht wahr sein. Ich atmete dreimal tief ein und aus, und dann fing ich an zu denken und bekam Lust, in die Runde zu schreien: Seht her! Ich kann’s! ICH STEHE AUF DEM KOPF! JUUUUUUHUUUUUUU! Doch dann bekam ich es auch mit der Angst zu tun und kam langsam wieder herunter. Ich wollte dem hübschen Hippie um den Hals fallen vor lauter Glück! Ich strahlte ihn an und sagte: »Das war das erste Mal, dass ich einen Kopfstand gemacht habe.«
»Wow. Hast du es denn schon öfter probiert?«
»Nein. Dabei habe ich es dieses Mal auch nicht probiert, aber es ist einfach passiert.«
»Glückwunsch«, sagte er. »Ich habe es erst nach drei Jahren geschafft.«
Ich wusste nicht, ob es bei mir nicht noch drei Jahre dauern würde, bis ich den nächsten Kopfstand machen konnte, doch es war mir egal. Ich wusste nur, dass ich weiterlernen wollte und war dankbar für diesen einen, ersten, erfüllten Moment auf meinem Kopf.
Nach der Stunde kaufte ich in meinen Shirshasana-Nirwana eine Yoga-Zeitschrift, die mich schon beim Durchblättern aus meiner Yoga-Wolke riss. Ich las einen Artikel über sogenannte Yoga-Piraterie, die vor allem in den USA mit yogarelevanten Patenten, Copyrights und Marken um sich greift. Natürlich geht es dabei um Geld: In den Staaten war das Yoga-Business 2008 stolze 5,7 Milliarden Dollar wert. Nun wehrte sich die indische Regierung und argumentierte, dass Yoga ein Allgemeingut sei und nicht von Einzelnen geschützt werden können sollte. Im Zuge dessen stellte sie ein Team von 200 Spezialisten auf, die alle bekannten Asanas und Techniken sammeln und in einer Datenbank katalogisieren sollten. Das Ganze hatte vor allem nach dem Kopfstand einen sehr schalen Beigeschmack, ebenso wie ein anderer Artikel, der mich an Pollys E-Mail über »die Pornoisierung von Yoga« denken ließ. Eine sehr hübsche Frau hatte in den USA ein Yoga-Buch auf den Markt gebracht, das Slim, Calm, Sexy [6] hieß und versprach, durch Yoga zum Traumkörper zu gelangen, in nur 15 Minuten täglich! Yoga wäre der beste Trick, um Gewicht zu verlieren! Das stieß mir sauer auf, vor allem, weil mir klar wurde, dass meine anfängliche Motivation für Yoga genau diesem Buchtitel entsprochen hatte. Doch nun fand ich es vulgär und falsch und eine Beleidigung für Yoga. Das entwickelte sich alles in eine merkwürdige Richtung, die mir nicht gefiel. Ich war vom Yoga-Skeptiker zum Yoga-Anhänger geworden, doch die Zeit, in der es mir dabei nur um meinen Körper ging, war längst vorbei. Ich hatte eine Art Sinn darin gefunden, ohne ihn jemals gesucht zu haben.
Trotzdem hatte ich Schuldgefühle
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