Zaster und Desaster
für den maximal möglichen Verlust pro Handelstag, die als Maßstab der Risikobereitschaft gilt – vom ersten aufs zweite Quartal 2009 um beeindruckende 58 Prozent nach oben. Investmentprodukte wie Collateralized Debt Obligations (CDO), die Hypothekendarlehen weiterverwursten, sind plötzlich wieder im Kommen – obwohl sie das Kredit-Kartenhaus gebildet hatten, das im Herbst 2008 zusammenfiel. Die Banken verpacken sie nur neu, mit neuen Namen. Und die Kumpane von den Rating-Agenturen, haben die was gelernt? Ach was, sie versehen diese »neuen« Kreditvehikel prompt mit ihrem Gütesiegel AAA. Bis zur nächsten Umwandlung in Alt-A.
Dass hinter diesem größten Bankraub aller Zeiten kriminelle Energie, unersättliche Gier und skrupellose Verantwortungslosigkeit steht, muss inzwischen ja nicht mehr bewiesen werden, es ist offensichtlich. Aber es gibt noch einen weiteren Faktor, der in der öffentlichen Debatte bislang sträflich vernachlässigt wird. Die Masters of the Universe, die großen Lenker und Despoten und Egomanen an der Spitze der meisten Banken der Welt, sind häufig gefährliche Psychopathen. Zunächst muss man ein Egozentriker mit leicht autistischen und soziopathischen Tendenzen sein, um sich überhaupt in diese Position zu intrigieren, zu treten, zu boxen, zu beißen. Einmal oben angekommen, führen sie sich als Master of the Universe, beratungsresistent und diktatorisch auf, ohne zu bemerken, dass sie zu Masters of Desasters werden. Nehmen wir, wir haben die Qual der Wahl, als Beispiel nur das Aufeinandertreffen von »the gorilla« Dick Fult und »the hammer« Hank Paulson. Beides Egomanen und Diktatoren, der erste CEO von Lehman Brothers von 1994 bis zum 15. September 2008, bis zum Bankrott. Der zweite war von 1974 bis 2006 bei Goldman Sachs, die letzten acht Jahre als CEO. Dann wurde Paulson Finanzminister der Bush-Regierung. Beide Herren sind Multimillionäre und haben sich nach ganz oben gebohrt. Aber wenn Geld und Macht keine Rolle mehr spielen, weil man beides hat, dann geht es nur noch um eins: um das Ego. Und um alte Beziehungen und Animositäten, ergänzt durch völligen Realitätsverlust. Da hatte der Gorilla Fult noch im April 2008 markig verkündet: »Das Schlimmste ist überstanden.« So kann man sich täuschen. Am 15. September 2008 mussten Lehman Brothers die Bücher deponieren. Der Hammer antwortete am Sonntag, 14. September, einfach nicht auf die immer verzweifelteren Hilferufe, die der Gorilla brüllte. Und am Tag nach der Pleite von Lehman schob der Hammer Paulson dem wankenden Riesen AIG 85 Milliarden Staatshilfe rein, von der sich, natürlich reiner Zufall, Goldman Sachs gleich 13 Milliarden abgriff. Zwei Wochen später schob Paulson die größte Staatshilfe aller Zeiten auf die Rampe, das sogenannte Troubled Asset Relief Program (TARP).
Wer die Situation der Welt- und besonders der Finanzwirtschaft heute betrachtet, tut gut daran, sich an einen Wirbelsturm zu erinnern. Wir haben erlebt, wie er mit voller Wucht über uns brauste, und wir erleben zurzeit eine Phase außerordentlicher Ruhe. Es werden erste Schadensschätzungen angestellt und verbreitet: Der International Monetary Fund kommt in seinem April 2009 Bericht auf 4 Billionen Dollar (für Ungläubige das Originalzitat aus dem »World Economic Outlook« des IMF, wobei eine US-Trillion einer europäischen Billion entspricht: »The April 2009 issue of the Global Financial Stability Report [GFSR] estimates that, subject to a number of assumptions, credit writedowns on U.S.-originated assets by all holders since the start of the crisis will total $ 2.7 trillion, compared with an estimate of $ 2.2 trillion in the January 2009 GFSR Update. Including assets originated in other mature market economies, total writedowns could reach $ 4 trillion over the next two years, approximately two-thirds of which may be taken by banks.«) Der IMF geht von einem Gesamtschaden von 4 Billionen Dollar aus, andere Analysen sprechen sogar von über 10 Billionen, und dies immerhin, nachdem die Amis von massivster Übertreibung sprachen, als Mitte 2008 eine Schätzung von ca. 800 Mia. in die Runde geworfen wurde.
Wer sich die Zeit nimmt zu einer kleinen Standortanalyse, wird unter anderem eine weitere und massive Verrohung der Sitten feststellen, welche schon in der zehnjährigen Vorbereitungsphase der Pleite unübersehbar war und mittlerweile jedem kritischen Beobachter den Atem verschlägt. So passt es denn durchaus ins Moralbild des Jahres 2009,
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