Zauberkusse
klammere mich an ihrem Arm fest. Meine Achselhöhlen nässen unangenehm und mein Herz rast vor Aufregung.
»Ich werde nie, nie wieder eine Rede halten«, schwöre ich inbrünstig. »Das war ja schlimmer als die mündliche Abiturprüfung.«
»Du warst super«, beruhigt sie mich. »Und guck doch bloß mal, was vor der Hexenkammer los ist.« Ich drehe mich um und registriere überrascht, dass sich davor in Sekundenschnelle eine Schlange gebildet hat.
»Da stehen ja mehr Leute an als bei meiner Suppe«, staune ich und bin fast ein bisschen beleidigt, aber Loretta nickt vergnügt.
»Jetzt kann ich es ja zugeben, ich war bis eben nicht sicher, ob ein Zauber-Café wirklich so eine gute Idee ist. Aber anscheinend stehen die Leute drauf.«
»Anscheinend.« »Hey, da ist ja dein schicker Polizist«, ruft Loretta plötzlich und winkt Michael, dem Nina gerade eine Schale Champignoncremesuppe mit Croutons reicht.
»Das ist nicht mein Polizist«, sage ich halblaut und verpasse meiner Freundin einen Rippenstoß, während Michael zu uns herüberkommt.
»Das ist ja mal eine Überraschung«, strahlt Loretta, »setzen Sie sich doch zu uns. Wie ist die Suppe? Hat Luzie gemacht. Ihr Geheimrezept«, plappert sie auf ihn ein.
»Ich habe ja noch gar nicht probiert«, meint er, lässt sich auf dem Sessel mir gegenüber nieder und balanciert die Suppentasse auf seinen Knien. Während Loretta unaufhörlich auf Michael einredet, lasse ich meinen Blick zufrieden über die Gästeschar wandern. Man kann es nicht anders sagen: Die Eröffnung ist ein voller Erfolg. Die Stimmung ist ausgelassen und es kommen immer noch weitere Gäste herein. In diesem Moment öffnet sich die Eingangstür und wie von Geisterhand wird ein in eine graue Decke eingeschlagener Gegenstand hereingeschoben. Das Ding ist sicher ein mal zwei Meter groß und flach. Keuchend erscheint eine zierliche blonde Frau in meinem Blickfeld und ich gebe einen überraschten Laut von mir. Die Frau ist Anna.
Suchend lässt sie ihren Blick durch den Raum schweifen, während ich aufspringe und ihr entgegentrete.
»Ach, da bist du ja«, meint sie.
»Anna …« Mehr bringe ich beim besten Willen nicht raus, ich stehe nur da und starre sie an. Sie schaut zurück. Das Stimmenmeer um uns herum verebbt, kein Wunder, schließlich befinden wir uns mitten im Zentrum des Raumes und wahrscheinlich sehen wir ein bisschen aus wie das doppelte Lottchen. Und das graue Monstrum neben Anna ist auch nicht gerade unauffällig. Jetzt klopft sie mit der Hand darauf und sagt:
»Ich habe dir etwas mitgebracht. Für dein Café.« Wieder sieht sie sich suchend um, ihr Blick bleibt an der hinteren Wand hängen. »Da würde es gut hinpassen.« Damit beginnt sie, die Verschnürung um die graue Decke zu lösen und enthüllt schließlich ein mir wohlbekanntes Gemälde eines bedeutenden Hamburger Künstlers. Fassungslos starre ich auf die nackte Schönheit, die ich das letzte Mal vor vielen, vielen Wochen gesehen habe, kurz bevor ich sie unter einem Schwall rubinroter Farbe begrub. Der Restaurator hat ganze Arbeit geleistet. Vielleicht hat ihre makellose Haut einen leichten Rosa-Stich, aber das könnte auch Einbildung sein. Erwartungsvoll sieht Anna mich an.
»Das kann ich doch nicht annehmen«, stoße ich schließlich hervor, doch sie schüttelt energisch den Kopf.
»Ich kann das Ding sowieso nicht mehr sehen. Betrachte es doch einfach als dauerhafte Leihgabe.« Mit großen Augen betrachte ich das Kunstwerk und dann Anna, die jetzt einen Schritt auf mich zukommt und mir die Hand hinstreckt.
»Du hattest keine Verpflichtung mir gegenüber. Aber Gregor«, sagt sie leise, nachdem ich sie ergriffen habe. »Er hat geschworen, mir treu zu sein, bis dass der Tod uns scheidet. Es war seine Verantwortung. Und wenn du nicht gewesen wärest, dann würde ich vermutlich immer noch denken, dass er der tollste Mann der Welt ist. Entschuldigung angenommen.«
»Danke«, sage ich und breche in Tränen aus.
Nachdem ich mich wieder einigermaßen beruhigt habe, wuchten wir das Bild gemeinsam in den hinteren Teil des Ladens und lehnen es dort an die Wand.
»Anna, ich bin wirklich, ich meine, du kannst dir gar nicht vorstellen …«, versuche ich, meine Erleichterung in Worte zu fassen, aber sie winkt lächelnd ab.
»Schon gut. Ich hol mir was zu trinken. Und dann sag ich mal meiner Anwältin guten Tag.«
»Mach das.« Ergriffen starre ich noch immer auf das Gemälde, als ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter
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