Zebraland
tauchen in ein Waldstück ein. Draußen huschen Baumstämme vorbei, von den Scheinwerfern aus der Dunkelheit gerissen, wieder der Dunkelheit anheimfallend. Das Duftbäumchen schaukelt hin und her. Ich spüre, wie mir die Lider schwer werde n …
» … der Wald steht schwarz und schweiget und aus den Wiesen steige t …«
Wir biegen um die Kurve.
Dann.
Plötzlich.
Direkt vor uns.
Philipp schreit. Das Geräusch bohrt sich in meinen Kopf: »Acht u …«
Bremsen quietschen.
Mein rechter Arm schabt an der Innenverkleidung des Autos entlang, als ich nach vorn geschleudert werde. Dann hält mich der Sitzgurt mit einem Ruck. Kurz bekomme ich keine Luft mehr, reiße die Augen auf, sehe etwas vorbeifliegen.
Oh Gott, was ist das? Etwas schrammt am Wagen entlang, ein Geräusch, das ich niemals vergessen werde. Wie tausend Fingernägel über Metall.
Schlingernd kommt das Auto am rechten Straßenrand zum Stehen.
Der Motor tuckert und erstirbt.
Ziggy
E: »Du machst mir langsam Angst, Mohn. Was ist denn passiert?«
Z: »Wir haben was umgefahren.«
E: »Umgefahren? Was denn?«
Z: »Es tauchte nur Bruchteile von Sekunden im Scheinwerferlicht auf. Irgendein Tier. Ein Reh oder so wa s … ein Zebra vielleich t … weiß nicht mehr, das ging alles so schnel l …«
E: »Ein Zebra? Wie kommst du denn ausgerechnet auf ein Zebra? Scheiße, ihr hab t …«
Im ersten Moment blieben wir alle reglos sitzen. Vielleicht habe ich mir das nur eingebildet, dachte ich. Es ist gar nichts passiert.
Aber dann brach das totale Chaos aus. Alle schrien durcheinander. Judith riss die Tür auf und sprang aus dem Auto. Philipp und ich folgten ihr. Nur Anouk blieb sitzen, die Lider fest zusammengepresst.
Das asphaltierte Band der Landstraße lag vor uns, leer. Suchend rannten wir ein paar Meter zurück. Und dann entdeckten wir das Moped in den Büschen.
Es sah nur nicht mehr aus wie ein Moped.
Im Zwielicht erkannten wir die Katzenaugen der Leitpfosten. Die raue Rindenstruktur der Bäume. Totes Laub wirbelte auf, als wir die steile Böschung am Straßenrand hinunterstolperten.
Ich fiel hin.
Der Geruch von Erde und Eisen. Meine Handflächen waren aufgeschürft und bluteten. Ich blickte sie an. Aber ich spürte nichts. Gar nichts. In mir war alles taub.
Das Ding, über das ich gestolpert war, war eine weiße Handtasche mit kurzen Henkeln.
Sie lag inmitten kleiner Pilze. Die fleischigen Stiele waren umgeknickt, die Schirme mit den Lamellen zertreten. Ich kann es immer noch vor mir sehen, ganz genau.
Ich hob die Tasche auf, versuchte den Gedanken zu verdrängen, dass sie mir irgendwie bekannt vorkam.
In diesem Moment hörte ich Judith schreien: »Hier! Hier!«
Dort drüben, im Wald, lauerte die Nacht. Und ich lief mitten hinein.
Das Mädchen lag ganz still da.
Es war Zebra. Yasmin.
Ihr Helm war verrutscht. Und ihr Bei n … Mit ihrem Bein war es wie mit dem Moped: So verdreht sollte es nicht aussehen, es war falsch, ganz falsch. Das ganze Blu t …
Judith hatte sich über Yasmin gebeugt. Wie in einem Schlaglicht bemerkte ich die lange Schürfwunde an Judiths Arm. Ihre Finger flogen, sie zitterte am ganzen Körper.
»Ich glaube, sie atmet nicht mehr! Ich kann ihren Puls nicht spüren!«, rief sie und starrte Hilfe suchend zu uns hoc h – zu Philipp, der ein wenig abseitsstand, die Hände vor der Brust verschränkt, als friere ihn. Zu mir.
Zögernd kniete ich mich neben Judith und ergriff Yasmins schlaffes Handgelenk, um ihren Puls zu fühlen. Bloß nicht das Bein angucke n … Um den Brechreiz zu unterdrücken, versuchte ich mich auf Yasmins bleiches Gesicht zu konzentrieren. Einen Stöpsel ihres MP 3-Players hatte sie noch im Ohr, das Kabel war abgerissen. Ihr Mund stand leicht offen, als wäre sie überrascht. Ich konnte ihre kleine Zahnlücke sehen. An den Schneidezähnen war ein bisschen Blut.
Judiths Stimme neben mir klang hysterisch: »Was ist mit ihr? Vielleicht sollten wir eine Herzmassag e … Mist, wie ging das noch mal?«
Da, hatten Yasmins Lider nicht eben gezuckt?
Nein, ich musste mich geirrt haben. Denn ich konnte kein Klopfen in ihren Adern spüren. Keinen Puls.
»Yasmin«, flüsterte ich. Heute Mittag erst hatte ich mit ihr gesprochen. Und jetzt war si e …
Einfach so.
»Sie ist tot«, sagte ich leise.
Ich war so durcheinander, ich wusste nicht, was ich denken und fühlen sollte. Was sollten wir denn jetzt machen? Philipp hatte sich umgedreht und lief zurück zur Straße, zum Auto. Seine Schritte wurden
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