Zebraland
Inhalt
Ich stehe auf dem Dach der Turnhalle und spraye ein Zebra auf die Rückwand meiner Ex-Schule.
Der Geruch von frischer Farbe umgibt mich. Meine Spraydose zischt, während ich mit Schwarz die letzten Outlines ziehe. Unter meinen Turnschuhen knirscht Kies. Ich trete einen Schritt zurück, um mein fertiges Werk zu bewundern.
Das Zebra ist riesig, seine Streifen sind bunt.
Gelb
wie mein Lieblings-T-Shirt mit Bob Marley, das ich in jenem Sommer ständig trug.
Dunkelbraun
wie Anouks lange Locken.
Grün
wie Judiths Augen, wenn sie wütend war.
Weiß
wie Philipps alter Mercedes, den er von seinem Opa bekommen hatte.
Rot
wie das Blut, da s …
Das Zebra scheint mir den Kopf zuzuwenden. Ich kann seinen Ausdruck nicht deuten. Blickt es traurig? Anklagend? Oder grinst es mich höhnisch an?
Schwarze Gedanken kriechen aus ihren Löchern. Sie zerren an mir da hoch oben auf dem Dach der Turnhalle. Meine Beine sind wacklig. Langsam, mit dem Rücken gegen die bemalte Wand, lasse ich mich auf den Kies sinken. Dort bleibe ich hocken, den Kopf auf den Knien, und atme tief durch.
Das Nächste, was ich höre, ist die Stimme des Hausmeisters, der mich anschreit.
Die Schule verzichtet großzügig auf eine Anzeige wegen Vandalismus. Dafür muss ich mein Zebra mit weißer Farbe überstreichen.
Der Hausmeister ist noch immer voller Genugtuung über seinen Fang. Ab und zu kommt er vorbei, um mir beim Schuften zuzugucken. Nach zwei Tagen Arbeit ist nichts mehr zu sehen. So als hätte es das Zebra nie gegeben. Nur wenn die Sonne auf die Wand fällt, kann man es noch erahnen.
Der Hausmeister brummt zustimmend und ich bin endlich entlassen. »Eins würde mich interessieren, Junge«, sagt er, bevor ich mich aus dem Staub machen kann. »Wieso hast du es nachmittags gemacht? Man könnte ja fast meinen, du wolltest erwischt werden.«
Ich antworte nicht, und er mustert mich mit kleinen, listigen Augen: »Na ja, geht mich ja nichts an.«
Ich wünschte, Claudia, meine Mutter, würde das auch so sehen. Natürlich macht sie ein Riesentheater.
»Was ist eigentlich mit dir los, Fridolin?« Ich kann meinen Namen nicht ausstehen! Alle nennen mich Ziggy. Nur Claudia nicht.
»Hast du nichts anderes zu tun, als rumzuhängen und verdammte Zebras zu sprühen?«
»Ich arbeite doch«, verteidige ich mich.
»Im Lager vom Supermarkt!« Möchte wissen, warum ihr Job in der Drogerie okay ist und meiner nicht.
»Außerdem helfe ich Elmar in der Werkstatt.«
Es war ein Fehler, Elmar zu erwähnen. Claudia schnaubt, jetzt kommt sie so richtig in Fahrt: »Dein Cousin ist trotz seiner sechsundzwanzig Jahre ein großes Kind! Ein Wunder, dass seine sogenannte Werkstatt noch nicht pleitegegangen ist. Aber du! Du hast Abitur! Du könntest eine gute Ausbildung machen, vielleicht sogar studieren.« Kopfschüttelnd fügt sie hinzu: »Wenn du wenigstens glücklich mit deinem Leben wärst.«
Wir wissen beide, dass ich es nicht bin, obwohl ich versuche, das zu verbergen.
In der plötzlichen Stille klingt Claudias Stimme seltsam, die Wut darin bricht und wird zu einem Flehen, das ich tausendmal schlimmer finde.
»Nun sag doch endlich was, Fridolin! Ich mache mir Sorgen um dich, begreifst du das nicht?!« Sie hat Tränen in den Augen, und ich will nur noch weg.
»Du hast dich im letzten Jahr so verändert. Nichts scheint dir mehr Freude zu machen, nicht mal das Gitarrespielen! Vielleicht solltest du mal mit jemandem rede n …«
Aber da bin ich schon fast raus aus der Wohnung.
Manchmal frage ich mich, warum ich es nicht so gemacht habe wie die anderen.
Wie Philipp, Anouk und Judith. Vielleicht hätte ich diesem verdammten Kaff den Rücken zukehren und versuchen sollen zu vergessen.
Aber ich glaube, so weit kann man gar nicht laufen, dass man so was vergisst.
Wie immer, wenn ich nicht weiß, wohin ich mit mir soll, gehe ich zu Elmars Werkstatt. Elmar ist nicht nur mein Cousin, sondern auch mein bester Kumpel. Spätestens seit dem Tag, an dem wir Bob Marley adoptiert haben.
Ich war damals gerade sechzehn geworden und meine Niete von Vater hatte mal wieder meinen Geburtstag vergessen.
Mein Vater hat Claudia und mich verlassen, als ich in die Schule kam. Dass er meinen Geburtstag vergisst, passiert regelmäßig. Ich glaube, er vergisst sogar regelmäßig, dass er überhaupt einen Sohn hat. Eigentlich sollte ich also daran gewöhnt sein. Es sollte mir nichts mehr ausmachen.
Klappte aber nicht. Stattdessen blies ich Trübsal.
»Was’n los, Mohn?«, fragte
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