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Zebraland

Zebraland

Titel: Zebraland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Roeder
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Lied, das Anouk im Auto immerzu gesummt hat und das jetzt in meinen Adern vibriert, von innen gegen meine Schädeldecke stößt:
    So legt euch denn, ihr Brüder,
in Gottes Namen nieder,
kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns Gott mit Strafen
und lass uns ruhig schlafe n …

Ziggy
    E: »Shit, du siehst total fertig aus, Mohn. Weiß wie ’ne Wand. Du musst das nicht machen. Du musst nicht darüber reden, wen n …«
Z: »Doch, ich muss.«
    Am nächsten Morgen erwachte ich mit steifem Nacken auf einem von Elmars Küchenstühlen. Im Arm hielt ich die kleine weiße Handtasche wie einen perversen Kuscheltierersatz. Angewidert schob ich sie von mir weg.
    Philipp und Judith stritten sich schon wieder. Ihre aufgeregten Stimmen hatten mich geweckt, bohrten sich in mein müdes, benommenes Hirn. Im Hintergrund dudelte noch immer das Radio.
    »Wir müssen die Polizei anrufen!«, sagte Judith gerade. »Das hätten wir schon gestern tun sollen!« Blonde Strähnen fielen ihr wirr ins Gesicht. Sie tigerte in der Küche auf und ab, in rastloser, zwanghafter Bewegung.
    Philipp, der mir gegenübersaß, folgte ihr mit den Augen. »G-g-gar nichts mü-mü-müssen wir!«, widersprach er heftig. »Was soll das jetzt noch b-bringen?! D-denk erst mal nach, bevor du so-solchen Mist verzapfst! Wir haben die t-t-t-totgefahren!«
    Judith blieb stehen: »Deine kleine Freundin hat sie totgefahren«, stellte sie klar. » Wir hatten nur das Pech, zufällig mit im Wagen zu sitzen. Was meinst du dazu, Ziggy?«
    Sie heftete ihre blitzenden, jadegrünen Augen auf mich.
    »Äh«, stammelte ich und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen.
    »Psst, seid mal still!«, rief Philipp plötzlich. »Die Nachrichten!«
    Wir lauschten gebannt.
    »Gestern Nacht wurde auf der Landstraße zwischen Distelfelde und Schwarzacker eine Mopedfahrerin angefahren«, berichtete eine Frauenstimme sachlich. »Die 18-Jährige erlag auf dem Weg ins Krankenhaus ihren schweren Verletzungen. Der Fahrer des Unfallwagens beging Fahrerflucht. Sachdienliche Hinweise nimmt jede Polizeidienststelle entgegen.«
    Die Wahrheit sickerte nur langsam in mein Hirn: Yasmin war noch gar nicht tot gewesen, als wir wegfuhren. Wir hatten einen Fehler gemacht. Wir hätten sie retten können, wir hätte n …
    Die Zeit blieb stehen und schnellte dann plötzlich wieder vorwärts, als jemand anfing zu schreien. Wir blickten zur Tür. Dort stand Anouk, barfuß, mit vom Schlaf zerwühlten Locken. Keine Ahnung, wie lang sie da schon stand, wie viel sie mitbekommen hatte. Anscheinend genug.
    »Oh Gott, oh Got t …« Die Worte verschmolzen zu einem schrillen, sich überschlagenden Kreischen.
    Sofort war Philipp bei ihr und versuchte sie in den Arm zu nehmen. Doch Anouk kauerte sich schluchzend auf dem Boden zusammen, machte sich ganz klein. Langsam wiegte sie sich vor und zurück, die Lider fest zusammengepresst. Dabei hielt sie sich die Ohren zu, als wollte sie verhindern, dass die Nachricht in ihr Inneres drang.
    »Schalt das Radio ab! Schalt es ab!«, rief Philipp.
    Judith zog den Stecker heraus.
    In der darauffolgenden Stille war nur Anouks Wimmern zu hören. Philipp streichelte ihr über den Kopf. Sein Gesicht war sehr weiß. Fast meinte ich hindurchgucken zu können bis auf die Knochen, bis auf den Schädel. Er warf einen Blick zu mir herüber. Diesen Gesichtsausdruck werde ich nie vergessen.
    Ich ergriff die Flucht. Mir war so schlecht.
    Ich rannte zur Toilette. Dort hängte ich mich über die Schüssel und würgte und würgte.
    Keuchend schloss ich die Augen. Das Porzellan der Toilettenschüssel war kühl und verlässlich unter meiner Wange.
    Danach wusch ich mir den Mund und wieder und wieder die Hände. Aber ich hatte das Gefühl, sie wurden nicht richtig sauber. Noch immer konnte ich die Blutflecken vom Abend zuvor sehen, als wären sie unter meine Haut gewandert.

Judith
    Seit Stunden sitzen wir jetzt schon in der Werkstattküche und diskutieren. Das heißt, ich und Phil diskutieren, während Ziggy die meiste Zeit ins Leere starrt und aussieht, als sei ihm noch immer schlecht.
    Anouk ist verstummt. Ihr Gesicht ist vom Weinen verquollen.
    Sie hantiert mit der Kaffeekanne herum. So vorsichtig, als fürchte sie, selbst in tausend Scherben zu zerspringen, wenn sie das Ding fallen ließe.
    Neben der Wand aus Glasbausteinen komme ich mir vor wie in einem Aquarium. Unsere Worte treiben durch den Raum wie Fische, die immerzu im Kreis herumschwimmen. »Ich sehe nicht ein, warum wir nicht zur Polizei

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