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Zeit der Geheimnisse

Titel: Zeit der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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sehe, wie sein Bauch sich unter dem verwaschenen Karostoff seines Hemdes hebt. Am Kragen und an den Manschetten ist es ziemlich eklig vergilbt. Die Hemden von meinem Dad sind immer weiß und steif und sauber. Man knöpft ihn bis hoch zum Hals zu, und dann steht er da, sicher verpackt und verlässlich. Aber GRANDPA HAT DEN KRIEG MITGEMACHT, deshalb trägt er seine Sachen, bis sie auseinanderfallen.
    »Alles in Ordnung, Liebes?«, fragt er, und ich nicke.
    »Du willst aber nicht, dass ich krepiere, oder?«, fragt er, und ich schüttle den Kopf.
    »Hör nicht auf Hannah«, erkläre ich ihm. »Sie ist immer so. Dad hätte sie in ein Waisenhaus oder so stecken sollen, statt sie hierherzuschicken. Das hätte ihr bestimmt gefallen«, schiebe ich, ein bisschen von oben herab, nach. »Hier will sie ja nicht sein.«
    Grandpa kommt zu mir herüber und tätschelt mir die Schulter. »Aber, aber«, sagt er und klingt dabei leicht abwesend. »Das kommt gar nicht infrage, ein Waisenhaus.«
    Wieso eigentlich nicht? Wenn Dad uns hierher schicken konnte, dann könnte er uns auch sonstwohin schicken.
    Ich gehe durch die Hintertür des Ladens in den Flur und die enge Treppe hinauf. Der Laden ist ein Teil von Grandmas und Grandpas Haus, deshalb sind die Zimmer alle anders verteilt als normal: Die Küche ist unten, gleich neben dem Lagerraum, aber das Wohnzimmer ist oben. Abends, wenn ich im Bett liege, sehe ich das flackernde Licht vom Fernseher an der Wand neben dem Treppenabsatz, und das Zuschauerlachen vom Band drängt sich in meine Träume. Alles ist dunkler hier und älter. Nichts passt zusammen, zum Beispiel steht unser Sofa aus Newcastle neben einem roten Stuhl mit hoher Rückenlehne und Löwenfüßen. In einem Bücherschrank aus dunklem Holz und mit Glastüren stehen die Kochbücher von Delia Smith und die Krimis von Dick Francis Seite an Seite mit uralten Büchern mit Leinenumschlag und goldener oder silberner Schrift auf dem Rücken.
    Mein Zimmer hier gehörte mal Tante Meg, früher, als sie so alt war wie ich jetzt. An den Wänden klebt eine grässliche gelbe Tapete, auf einer Seite hängt ein Erwachsenenbild von einem Baum, und das vergilbte Waschbecken in einer Ecke funktioniertnicht mehr. Ein paar von meinen eigenen Sachen habe ich hier – meinen alten Bären Humphrey, meine Lieblingsbücher, meine Malsachen. Aber fast alles, was ich sonst habe, ist noch zu Hause, wir bleiben nämlich nicht für immer hier, nur so lange, bis Dad ALLES AUF DIE REIHE KRIEGT.
    Wann immer das ist.
    Ich nehme mir trockene Sachen aus dem Kleiderschrank – Jeans und meinen weichen gelben Pullover –, ziehe sie aber nicht an. Stattdessen stelle ich mich ans Fenster, halte das Bündel fest im Arm und schaue in den Garten. Der Regen trommelt aufs Dach – rattatata – und läuft an der Scheibe runter. Die Bäume rauschen laut, inzwischen scheinen sie eher zu streiten als zu reden.
    »Hör doch!«, würde Mum sagen, wenn sie hier wäre. »An so einem Abend ist der Teufel unterwegs.«
    Und das wäre dann nichts Schlimmes – ein Abend, an dem der Teufel unterwegs ist –, sondern einfach nur etwas Spannendes. Mum liebte solche Gewitterregen. Wenn sie hier wäre, zum Beispiel weil wir gerade zusammen bei Grandpa und Grandma Ferien machten, dann würden wir jetzt alle rausgehen und in die Pfützen springen. Sogar Hannah würde mitmachen, wahrscheinlich jedenfalls.
    Es ist noch nicht dunkel, aber man merkt schon, dass es ein ungemütlicher Abend wird. Der Himmel grollt, die Bäume biegen sich wütend hin und her, so als wollten sie jemanden umbringen. Während ich so allein am Fenster stehe, glaube ich fast, dass es ihn gibt, den Regenteufel.
    Und auch im Haus selbst ist es nicht friedlich. Ich höre Hannah im Zimmer nebenan weinen, ich höre Grandma, die unten laut und aufgebracht redet, und Grandpa, der mit ruhiger Stimme auf sie einspricht.
    Ich ziehe meine trockenen Sachen an und gehe ins Bett, ziehe mir den seltsam altmodischen Quilt über die Ohren. Dann hole ich mein Buch hervor und lese und versuche, nicht auf die Einsamkeit zu achten, die ich spüre, so allein in diesem Haus voller Lärm. Ich lese Hoch, die Schwarze Sieben , den achten Band der Schwarze-Sieben -Reihe, das heißt, wenn ich durch bin, fehlen mir nur noch sechs, dann habe ich sämtliche Fünf-Freunde- und Schwarze-Sieben -Bände gelesen, die es gibt.
    Der Regen fällt jetzt leiser.
    Es wird dunkel.
    »Molly? Bist du da?«
    Hannah steht in der Tür, sie hat immer noch ihre nassen

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