Zeit des Lavendels (German Edition)
hatte, war vorbei.
»Verzeih mir. Ich wollte dich nicht verletzen«, sagte sie sanft. »Nicht du bist es, den ich hasse. — Bald wird der Regen kommen. Du hast Recht, wir müssen zurück.«
Konz blickte hinüber zur Stadt. Es war wirklich Zeit, dass sie aufbrachen. Sein Blick schweifte über weite Wiesen und an kleinen Gärten vorbei. Aus der Ferne sah Seggingen so friedlich aus. Die Häuser, aus groben Steinen zusammengewürfelt, standen dicht aneinander gedrängt, als wollten sie sich gegenseitig stützen. Die dicke, Vertrauen erweckende Mauer, die sie umgab, kannte er, seit er denken konnte. In der Ferne war undeutlich die kleine Zugbrücke beim Schönauer Schloss zu erkennen, die über den Gießen zu den Bündten und Gärten dieser Inselstadt führte. Daneben der kleine Turm der Peterskirche. Seggingen sah von weitem aus wie ein heimeliges Nest mitten im Strom, von Osten her und im Süden und Norden umschlossen von den beiden Armen des Rheins. Im Westen bewacht vom Wasser des Gießen. Rechts neben der Zugbrücke kündete ein aus dicken Quadern zusammengefügter, runder Turm von der Gewalt des Wassers und der Wachsamkeit der Bewohner. Wie schon so viele Male zuvor glitt Konz' Blick von der steinernen Rundbogenbrücke im Norden die Mauer entlang bis hin zur gedeckten Holzbrücke, die die Stadt mit dem südlichen Ufer des zweiten Rheinarms verband. Leise hallten die Hammerschläge aus der Gerbermühle herüber. Jetzt konnte er auch das Gelächter hören, das aus den Häusern auf der Badmatte erklang. Konz seufzte. Für seinesgleichen gab' es keine heilenden Quellen. Seinesgleichen musste arbeiten.
»Konz, wir müssen gehen.« Jetzt drängte sie.
Der junge Mann nickte. »Wir hätten schon längst zurück sein müssen. Ein Donnerwetter blüht uns jetzt auf jeden Fall, weil wir so lange weg waren — vom Himmel und im Stift.«
Katharina grinste, sagte aber nichts weiter. Konz konnte das Klatschen ihrer nackten Füße auf dem Gras hören. Sie rannte inzwischen fast. Das Hammerwerk der Gerbermühle schlug seinen metallenen Takt dazu.
»Aber sie ist nicht so wie die anderen, sie ist gut«, brach es aus ihm heraus.
Katharina funkelte ihn an. »Ja, die liebe, die gute, die schöne, die bescheidene Magdalena. Alle sagen das. Sie geht zu den Armen, tröstet die Weinenden, hat für jeden ein gutes Wort. Du hast Recht, es ist schwer, sie nicht zu lieben. Es mag ja sogar sein, dass sie ein guter Mensch ist. Aber für sie ist es leicht, gut zu sein. Sie wurde auf Samt und Seide geboren und gehört nun zu den Großen des Reiches.« Katharina fühlte eine Woge der Eifersucht in sich aufwallen. Sie keuchte. »Bin ich etwa weniger wert, nur weil ich arm bin und nichts habe, das sich zu geben lohnt? Wie mir hat ihr Gott zwei Arme, zwei Hände, zwei Beine, zwei Füße, ein Gesicht und einen Körper gegeben. Darin sind wir gleich. Doch ihre Hände sind weich. Solche Hände können leicht schenken. Hier ein Stück Brot, da etwas Mehl. Schau dir meine Hände an. Die haben nichts zu verschenken.«
Voller Empörung streckte ihm Katharina ihre roten, rauen und rissigen Finger mit den kurzen, abgerissenen Nägeln entgegen. »Jeden Tag wasche ich Berge von Wäsche für die hohen Damen und die Chorherren, bleiche Leinen in der Sonne, bürste weichen Samt. Doch sind es mein Linnen und mein Samt, obwohl ich dafür arbeite? Sie hat für jeden Tag ein anderes Gewand und für Festtage gleich mehrere. Ist ihr Körper so viel wertvoller als meiner? Ich habe nur diesen einen Rock und ein zweites Hemd für Feiertage. Ihre Füße stecken in weichen Schuhen, für jeden Tag hat sie andere. Schau dir meine Füße an. Sie sind nackt. Ich habe nur das Paar aus verschlissenem, dünnem Leder, das jetzt an meinem Gürtel hängt. Ich muss es schonen, damit es lange hält. Und noch nicht einmal den elenden Verschlag neben der Küche habe ich für mich allein, während sie ungestört in ihrem weichen Federbett schläft.«
Konz erwiderte nichts. Was hätte er auch sagen sollen. Er war es ja gewesen, der diesen Zorn gesät, diesen Hass gegen die Obrigkeiten in ihr geschürt, ihr von den Lehren des Martin Luther erzählt hatte. Und wie er sie so anschaute, wuchs seine Angst um sie.
Die Fridolinsglocken waren längst verstummt, als sie endlich die Steinbrücke überquerten. Die Hitze hatte sich wie eine Glocke über die Häuser gelegt. Beide waren schweißnass. Das schmutzige, dicke Wasser voller Unrat und Fäkalien in den Rinnen vor den Häusern schien
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