Zeitlos
seufzend die Tür frei, und während Markus von seinem Traum berichtete und ihm seine Idee präsentierte, dauerte es, bis Simon langsam begriff, was er meinte. Dann verstand er. »WOW, das ist gut! Ein klasse Ansatz. Aber warte mal, die Sache hat einen entscheidenden Haken: Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass Masse doch zuerst vorhanden gewesen sein muss, um die Kräfte zu bewirken. Denk doch nur an die hohe Energieäquivalenz der Materie, wie sie bei radioaktiven Prozessen zu beobachten ist. Das wäre ein mögliches KO-Kritierium für deine These.«
Markus dachte angestrengt nach. »Vielleicht ist Materie nur zusammengeklumpte Energie aus verketteten Photonenteilchen. Ich erinnere mich an Simulationsprogramme zur Erforschung und Formulierung der Chaostheorien. Man machte Berechnungen zur zufälligen Anordnung von Punkten und Strichen und erhielt nach bestimmten Verdoppelungsprozessen wiederkehrende Muster in Form von wandernden Schwingungskurven. Du kennst doch auch die verschiedenen Theorien zu Bewegungsabläufen: Da geht es um die Frage wie Bewegung in Abhängigkeit von der Zeit funktioniert. Taucht ein Körper an verschieden Punkten der Raum-/Zeit-Matrix auf oder verschiebt er sich wirklich kontinuierlich? Wird er gezogen oder geschoben? Dazu gibt es eine Menge interessanter Ansätze…«
»Das erinnert mich an die Postulate der Bohm’schen Mechanik, die sich mit so genannten Führungswellen beschäftigen. Das würde genau in die Richtung gehen, die du hier anreißt…«
Ihre nun beginnende, lebhafte Diskussion wurde erst zwei Stunden später von Birte unterbrochen. Die Männer überhörten ihr Klopfen. Daraufhin öffnete sie die unverschlossene Zimmertür, denn die nicht gerade leisen Stimmen der beiden drangen bis auf den Flur hinaus. Erst als sie hinter ihnen stand, tauchten die Männer aus ihren geistigen Betrachtungen auf. »Sagt mal, worüber redet ihr eigentlich? Ich habe nur Bahnhof verstanden.« Sie sah in ihre entgeisterten Gesichter und winkte ab. »Okay, lasst stecken! Ich gehe jetzt frühstücken und ihr tätet gut daran, eure weitere Diskussion zu vertagen. In anderthalb Stunden brechen wir gemeinsam zur Stadtkirche auf. Kerstin kommt übrigens mit. Sie hatte einen merkwürdigen Traum, der ihr half, ihren inneren Zwiespalt zu überwinden.«
»Einen Traum?« Markus wandte sich an Simon. »Hast du etwa auch etwas geträumt?«
»Keine Ahnung, selbst wenn, ich kann mich hinterher nie daran erinnern.«
16.02.2012; Donnerstag; 11:50 Uhr/MEZ; Kiel, KN-Redaktionsbüro
Jens Plätschner sah wütend auf seinen Redaktions-Monitor, dessen Bild schon wieder eingefroren war und fest hing. Es war zum Kotzen! Seit Wochen nahm das Problem zu, häuften sich die Serverausfälle. Die IT-Abteilung wies jede Schuld von sich, mit dem Hinweis darauf, dass es anderen Computernetzen ähnlich erging und das sogar weltweit!
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und blickte missmutig durch das Fenster in den Hinterhof, wo Zulieferer mit ihren Transportern standen. Grau bekittelte Mitarbeiter der Kieler Nachrichten, die Klemmbretter in den Händen hielten, hakten Listen ab, gaben Anweisungen. Hinter sich hörte er das Fluchen der Redaktionskollegen. Er versuchte die Geräuschkulisse des Großraumbüros zu verdrängen und sich zu konzentrieren.
Wenn es stimmte, was gemunkelt und auf diversen Internetplattformen diskutiert wurde, na, dann: Prost Mahlzeit! Er selbst glaubte kein Wort davon. Nein, hier waren Vorgänge anderen Kalibers im Gange. Sollten doch die Anthroposophen, die Esoteriker und die anderen grünen Spinner, die laut Mayakalender angeblich bevorstehende Zeitenwende proklamieren – er glaubte diesen Hokuspokus nicht. Wehmütig erinnerte er sich einer erfolgreicheren Zeit in seiner Karriere, in der er anspruchsvolle, wissenschaftsjournalistische Beiträge für Hochglanzzeitschriften geschrieben hatte. Hinter jedem Phänomen gab es eine plausible, wissenschaftliche Erklärung, die es herauszufinden galt. Kosmisches Rauschen, Funkstörungen, kompromittierte Datennetze, rätselhafte, riesige Finanzspekulationen. Nein, sein Instinkt sagte ihm, dass hier ein gut getarnter Gegner am Werk war, der sehr Ziel gerichtet agierte. Diese Vermutung warf Fragen auf. Fragen nach Sinn und Zweck. Wem nützte es, wem schadete es? Wer verdiente daran? Wer weitete dadurch seine Macht und seinen Einfluss aus?
Schon seit längerer Zeit beschäftigte er sich mit den mittlerweile an vielen Orten in
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