Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
er in mein Zimmer kam (er ist der Einzige, der mich so nennen darf; der Name erinnert mich immer an Mehlwürmer, nur nicht, wenn Dad ihn sagt), »ich weiß, dass du alt genug für die großen Vergnügungsbahnen bist. Aber wir wollen, dass auch Willow Spaß an der Reise hat.«
Denn wenn Willow Spaß hat, dann haben wir alle Spaß. Er musste das nicht extra aussprechen; ich habe es auch so gehört.
»Wir wollen einfach nur eine ganz normale Familie auf Urlaub sein«, sagte er.
Ich zögerte. »Das Teetassenkarussell«, hörte ich mich sagen.
Dad versprach, sich für mich einzusetzen. Obwohl Mom strikt dagegen war – und wenn Willow gegen die harte Wand einer Teetasse schlägt, was dann? –, überzeugte er sie, dass wir uns ruhig herumwirbeln lassen dürften, denn wenn wir dich fest zwischen uns nähmen, würdest du dich gar nicht verletzen können. Danach grinste er mich an. Er war so stolz darauf, diesen Deal erkämpft zu haben, dass ich es einfach nicht übers Herz brachte, ihm zu sagen, dass mir das Teetassenkarussell vollkommen egal war.
Es war mir nur in den Sinn gekommen, weil ich im Fernsehen mal vor ein paar Jahren einen Werbespot für Disney World gesehen hatte. Darin war Tinker Bell wie ein Moskito über den Köpfen glücklicher Besucher durchs Zauberreich geflattert. Dann zeigte der Spot eine Familie mit zwei Töchtern, die ungefähr im selben Alter waren wie wir beide, und die amüsierten sich auf dem Teetassenkarussell des Verrückten Hutmachers. Ich starrte sie an und konnte gar nicht wegsehen – die ältere Tochter hatte sogar braune Haare wie ich, und wenn man die Augen zusammenkniff, sah der Vater genauso aus wie Dad. Natürlich war mir klar, dass die Leute in dem Werbespot wahrscheinlich noch nicht mal eine echte Familie waren, sondern Schauspieler, die ihre falschen Töchter vielleicht erst am Morgen der Aufnahme kennengelernt hatten; aber ich wollte , dass sie echt waren. Ich wollte glauben, dass sie von Herzen lachten, während sie sich wie verrückt im Kreis drehten.
Nimm zehn Fremde, steck sie in einen Raum, und frag sie, mit wem von uns beiden sie mehr Mitleid haben – mit dir oder mit mir. Wir wissen alle, welche Antwort sie geben werden. Es ist schon verdammt schwer, deine Gipsverbände zu übersehen, wie auch die Tatsache, dass du trotz deiner fünf Jahre erst so groß bist wie eine Zweijährige. Auch deinen schiefen Gang kann man nicht ignorieren – das heißt, wenn du ausnahmsweise mal so gesund bist, dass du gehen kannst. Ich will damit nicht sagen, du hättest es leicht gehabt. Aber ich habe es schwerer gehabt, denn jedes Mal, wenn ich mein Leben beschissen fand, habe ich dich angesehen und mich dafür gehasst, so etwas auch nur gedacht zu haben.
Hier mal eine Kurzfassung, was es heißt, ich zu sein:
Amelia, spring nicht aufs Bett. Du tust Willow weh.
Amelia, wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst deine Socken nicht auf dem Boden liegen lassen? Willow könnte darüber stolpern.
Amelia, schalte den Fernseher aus – obwohl ich erst seit einer halben Stunde geschaut habe, während du fünf Stunden am Stück darauf gestarrt hast.
Ich weiß, wie selbstsüchtig das klingt; doch man wird ein Gefühl ja nicht los, nur weil man weiß, dass es falsch ist. Und ich bin zwar erst zwölf, aber glaub mir, ich habe längst kapiert, dass unsere Familie nicht wie andere ist und auch nie sein wird. Ein typisches Beispiel: Welche Familie packt einen ganzen zusätzlichen Koffer mit Verbänden und wasserdichten Schienen voll, nur für den Fall? Welche Mutter verbringt vor dem Urlaub einen ganzen Tag damit, sich über sämtliche Krankenhäuser in Orlando zu informieren?
Es war am Tag unserer Abreise, und während Dad den Wagen beladen hat, haben du und ich am Küchentisch gesessen und Schnick-Schnack-Schnuck gespielt. »Schnuck«, sagte ich, und wir beide hatten »Schere«. Ich hätte es wissen müssen; du hast immer »Schere« gemacht. »Schnuck«, sagte ich wieder, und diesmal nahm ich »Stein«. »Stein bricht Schere«, sagte ich und tippte mit der Faust auf deine Hand.
»Vorsichtig«, ermahnte mich Mom, obwohl sie noch nicht einmal in unsere Richtung schaute.
»Gewonnen.«
»Du gewinnst immer.«
Ich lachte. »Das kommt, weil du immer ›Schere‹ machst.«
»Leonardo da Vinci hat die Schere erfunden«, hast du gesagt. Du hattest schon immer den Kopf voll von Dingen, die außer dir niemand wusste, die aber auch keinen interessierten. Du hast ständig gelesen, im Netz
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