Zero Day
Vielmehr wurden Sie eigens ausgewählt.«
»Verstehe, Sir.« Puller saß da und fragte sich, wann der Mann endlich etwas zu ihm sagen würde, was er noch nicht wusste.
Über die Metalltischplatte schob White ihm eine Akte zu. »Das sind die Daten. Der Diensthabende hat die ersten Informationen notiert. Besprechen Sie sich mit Ihrem Abteilungschef, ehe Sie abschwirren. Es ist zwar ein Ermittlungsplan formuliert worden, aber angesichts der örtlichen Verhältnisse neige ich dazu, Ihnen freie Hand zu lassen.«
Puller nahm den Schnellhefter an sich, ohne den Blick von White zu wenden. »Können Sie mir eine kurze Zusammenfassung geben, Sir?«
»Der Tote ist ein gewisser Oberst Matthew Reynolds vom Militärischen Geheimdienst. Stationierungsort Pentagon. Seine Heimatanschrift befindet sich in Fairfax City, Virginia.«
»Welche Verbindung besteht nach West Virginia?«
»Bis jetzt unbekannt. Aber er ist eindeutig identifiziert worden, also wissen wir, dass er es ist.«
»Welche Pflichten versah er bei der DIA ? Könnte irgendetwas davon die Ermordung erklären?«
»Die DIA bleibt über ihre Mitarbeiter und deren Pflichten notorisch schweigsam. Allerdings konnten wir in Erfahrung bringen, dass Reynolds seinen Ruhestand vorbereitete und die Absicht hatte, in die Privatwirtschaft zu wechseln. Falls Sie für Ermittlungszwecke Näheres wissen müssen, verhelfen wir Ihnen zu zusätzlichen Informationen.«
Falls?, dachte Puller. »Was für dienstliche Aufgaben versah er bei der DIA ?«
»Er hat seine Meldungen direkt bei der Stellvertretung des J2-Chefs erstattet.«
»J2 ist eine Zwei-Sterne-Dienststelle, nicht wahr? Dort reicht man die täglichen nachrichtendienstlichen Erkenntnisse dem Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs ein, stimmt’s?«
»Genau richtig.«
»Warum hat sich nicht die DIA auf den Fall gestürzt, wenn so ein Mann ermordet wird? Sie hat doch selber Außenermittler.«
»Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Bearbeitung der Angelegenheit uns zugefallen ist. Das heißt, Ihnen.«
»Und sobald wir den Täter erwischen, kreuzt die DIA auf – oder, was wahrscheinlicher ist, das FBI – und tritt mit ihm vor die Medien?«
»Keine Ahnung.«
»Vermutlich will die DIA diese Geschichte aussitzen.«
»Noch einmal: Ich kann Ihnen nur sagen, was ich weiß.«
»Also gut. Wissen wir, wohin der Oberst nach dem Ausscheiden aus dem Dienst gehen wollte?«
White schüttelte den Kopf. »Wir wissen es noch nicht. Sie können sich unmittelbar bei Reynolds’ Vorgesetzter bei der DIA nach Einzelheiten erkundigen. Es handelt sich um General Julie Carson.«
Puller beschloss, seine Gedanken auszusprechen. »Ich habe den Eindruck, ich brauche mich nicht in die Akte einzulesen, um die Ermittlungen aufzunehmen, Sir.«
»Abwarten. Wir werden sehen.«
Diese Antwort ergab wenig Sinn. Puller fiel auf, dass White wegschaute, als er sie äußerte.
»Weitere Opfer?«, fragte er.
»Ehefrau, zwei Kinder. Alle tot.«
Puller lehnte sich zurück. »Also vier Tote, eine wahrscheinlich komplizierte Tatortsituation in West Virginia und eine Überlappung der Ermittlungen in den Militärischen Geheimdiensten. Im Normalfall würde man dafür vier bis sechs Leute mit aufwendigem technischem Beistand aufbieten, vielleicht sogar Mitarbeiter des KTU -Labors der Army.« Er meinte die Kriminaltechnische Untersuchungsstelle der US -Armee in Fort Gillem, Georgia. »Es braucht eine ausreichende Zahl von Beteiligten, nur um die Spurenlage zu sichern und auszuwerten. Ein zweites Team müsste sich um die Nachforschungen bei der DIA kümmern.«
»Ich glaube, Sie haben eben die entscheidenden Worte ausgesprochen.«
»Und welche wären das?«
»Im Normalfall.«
Puller beugte sich vor. »Und ich erhalte bei einer so großen Dienststelle wie hier beim 701. im Normalfall die Einweisung durch meinen Abteilungschef, Sir, nicht durch den Leitenden Spezialagenten.«
»Das ist richtig.« Anscheinend hatte White nicht die Absicht, näher dazu Stellung zu beziehen.
Puller warf einen Blick in die Akte. Offenbar erwartete man von ihm, dass er sich über diese Eigentümlichkeit selbst Klarheit verschaffte. »Ein Blutbad, hieß es in dem Anruf.«
White nickte. »Richtig. Ich weiß beim besten Willen nicht, wie viele Morde in West Virginia im Durchschnitt verübt werden, aber ich vermute, es dürfte ziemlich blutig zugegangen sein. Aber egal wie, Sie werden im Nahen Osten wahrscheinlich Schlimmeres gesehen haben.«
Puller schwieg. Er zog es vor, über seine
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