Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
Schuhe. Wie konnte ich das bloß vergessen? Ich war einfach zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Jeden Donnerstagabend habe ich Gruppe. Alle Slater aus der Umgebung treffen sich im Gemeindehaus mit Schwester Penny, die uns den Übergang in die Gesellschaft erleichtern soll. Tatsächlich dient das Ganze unserer Überwachung, damit wir nicht aus der Reihe tanzen. Bei diesem Gedanken zucke ich zusammen, denn Penny ist eigentlich ganz in Ordnung.
Das ist immer noch ein Test.
Ich muss mich wie die übrigen Slater verhalten. Penny oder irgendwelche anderen heimlichen Zuhörer dürfen nicht merken, dass sich bei mir etwas verändert hat oder falsch ist. Ich denke an letzten Donnerstag. Mir ging es wegen Ben so schlecht, dass ich Schwierigkeiten hatte, bei Bewusstsein zu bleiben. Penny wird heute etwas Ähnliches erwarten.
Ich konzentriere mich darauf, wieder ganz die Person von letzter Woche zu sein, und schiebe Rain und ihre Erinnerungen beiseite.
Kyla, du bist dran.
Pennys knallgelber Pulli strahlt mit ihrem Gesicht um die Wette. Gerade unterhält sie sich mit einer Frau und einem Mädchen, die ich beide nicht kenne. Das Mädchen ist vielleicht 14 und grinst wie eine Irre – ganz offensichtlich ein neuer Slater. Am Anfang sind alle so, voller Freude, dass die Lorder ihnen die Erinnerungen und ihre Vergangenheit genommen haben und dass sie – ganz egal, welches Verbrechen sie auch begangen haben – jetzt eine zweite Chance auf ein neues Leben kriegen. Ich war genauso, allerdings etwas zurückhaltender. Waren es Rains verborgene Erinnerungen, die mich immer schon von den anderen unterschieden haben?
Die übrigen neun in der Gruppe sind dieselben geblieben. Tori und Ben fehlen. Und ich muss mich gar nicht groß verstellen, nur Kyla zu sein. Hier, an diesem Ort, bin ich sie. Rain gehört nicht hierher.
Wir stellen unsere Stühle im Kreis auf und es geht los.
Penny steht vorn. »Guten Abend alle miteinander!«
Wir sehen uns an und zögern. »Guten Abend«, sagen ein paar einzelne Stimmen weiter hinten und der Rest fällt mit ein.
»Heute möchte ich Angela begrüßen. Sie ist neu in unserer Gruppe. Und was kommt jetzt?«
Sie blickt in die Runde, und ich stöhne innerlich auf, weil ich an meinen ersten Tag hier denken muss. Damals war es Tori, die die Augen verdreht und voller Sarkasmus verkündet hat, dass sich nun alle vorstellen müssten. Und dann kam Ben, verspätet.
Ich sehe ihn immer noch vor mir, wie er in Shorts und Sweatshirt durch die Tür stürmt. Das Shirt schweißnass vom Laufen. Er ist immer gelaufen. Ich seufze.
»Kyla?«
Besorgt kommt Penny zu mir. »Alles in Ordnung, Liebes?«
»Tut mir leid, mir ist nur gerade schwindelig geworden.« Sie schaut auf mein Level und zieht eine Augenbraue hoch, als sie sieht, dass ein Wert von 5,8 angezeigt wird.
Ich muss mich zusammenreißen. Ich darf weder zu auffällig lächeln noch in Trauer versinken. Ausgeglichen bleiben. So wie alle Slater, obwohl es für mich nicht mehr dasselbe ist.
Penny lächelt dem neuen Mädchen zu, dessen Grinsen inzwischen noch breiter geworden ist. Sie sieht so happy aus, dass sie sicher nicht Gefahr läuft, ohnmächtig zu werden, wie es mir manchmal passiert ist. Auch alle anderen in der Gruppe sehen zu glücklich aus. Glücklich darüber, dass die Lorder sie geschnappt und davon abgehalten haben, das zu tun oder zu sagen, was nicht erlaubt ist.
Ich sehe mir die freudestrahlenden Gesichter an. Waren manche von ihnen echte Kriminelle? Mörder oder Terroristen wie ich? Ist es ihnen überhaupt wichtig zu wissen, wer sie einmal waren? Wenn mein Slating normal verlaufen wäre, würde ich jetzt mit ihnen um die Wette grinsen.
Auch ich wäre glücklich.
Ich fahre hoch, als eine warme Hand meine Schulter drückt. »Kannst du meine Frage beantworten?«, zwitschert Penny.
»Äh …«
»Warum sind wir hier?«
»Es ist unsere zweite Chance?«
»Genau, Kyla.«
Ich bekomme tatsächlich eine zweite Chance – aber nicht die, von der sie spricht. Sie weiß nicht, dass ich zurück bin, dass die Lorder versagt haben. Dass mein Slating misslungen ist.
Penny wendet sich wieder der Gruppe zu und teilt uns mit, dass wir heute ein paar Spiele machen werden. Sie öffnet eine Kiste und holt ein Damespiel, Karten und andere Brettspiele heraus. Wir sind elf Leute, und damit es aufgeht, muss ich mit Penny spielen. Will sie mich immer noch im Auge behalten?
»Kennst du eins von denen?«, fragt sie mich und ich schaue mir die Spiele in der
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