Zons 03 - Kalter Zwilling
weiteres Mal zu. Diesmal war sein Stoß tödlich. Die Maus blieb zusammengekrümmt in der Ecke ihres Drahtkäfigs liegen. Ihr weißes Fell war rot durchtränkt. Blut. Überall im Käfig haftete ihr Blut. Es war Mäuseblut!
So klar wie nie zuvor in seinem Leben durchfuhr ein Gedanke Kevins vom Rausch benommenes Gehirn: Sie ist so vollkommen anders als ich. Wie kann sie meine Mutter sein?
...
»Kommissar Bergmann, ich habe Sie schon erwartet. Kommen Sie, hier entlang.«
Oliver folgte dem Polizisten durch ein enges muffiges Treppenhaus hinauf in die dritte Etage.
»Sie muss schon eine ganze Weile dort gelegen haben. Die Nachbarn haben uns alarmiert, weil es komisch gerochen hat. Vielleicht nehmen Sie ein wenig hiervon?« Mit diesen Worten hielt ihm der Polizist eine Tube mit Spezialsalbe hin. Oliver nahm sie dankbar entgegen und rieb sich ein wenig davon unter die Nase. Er hatte zwar noch nicht gefrühstückt, trotzdem wollte er so wenig wie möglich vom Verwesungsgeruch wahrnehmen. Vor der Wohnungstür streifte er sich Überschuhe aus Plastik über und kramte seine Handschuhe aus der Jackentasche.
Kaum dass er über die Schwelle getreten war, schlug ihm ein süßlicher Verwesungsgeruch entgegen, den auch die Mentholsalbe nicht überdecken konnte. An der weißen Zimmerdecke im Flur hatten sich kleine schwarze Fliegen versammelt, die durch die Polizisten von der Leiche aufgescheucht worden waren.
»Sie liegt im Schlafzimmer, dort hinten rechts.«
Die Bemerkung des Polizisten war überflüssig. Der Gestank nach Verwesung war so stark, dass er Oliver auch ohne diesen Hinweis wie ein Navigationssystem zielsicher zur Leiche führte. Er bog vorsichtig nach rechts ab. Noch war die Spurensicherung nicht eingetroffen und er war, von den Streifenpolizisten einmal abgesehen, der Erste am Tatort. Das Zimmer wirkte unberührt. Es war dämmerig und die Jalousien waren nur halb geöffnet.
Das erste, was Oliver sah, waren ihre Finger. Eine Welle der Übelkeit wogte in seinem leeren Magen. Die Finger hingen wie die Glieder einer Kette an einem durchsichtigen Nylonfaden, der quer vom linken zum rechten Pfosten des Himmelbettes gespannt war. Das Bild, welches sich darunter auf der Matratze bot, war nicht viel besser. Eine junge Frau, nicht viel älter als zwanzig Jahre, lag mit ausgebreiteten Armen und gespreizten Beinen auf dem Bett, ihr Gesicht war zu einem einzigen Schrei verzerrt. Ihre linke Brust war amputiert, die rechte Brustwarze zu schwarzer Asche verbrannt. Zwischen ihren Schenkeln war das Laken von Blut durchtränkt. Oliver trat näher an die Leiche heran. An ihrem Oberschenkel konnte er deutliche Einschnitte erkennen. Offenbar hatte der Mörder versucht, die Blutgefäße freizulegen.
Angewidert wandte Oliver seinen Blick ab. Mit welchem Wahnsinnigen hatte er es hier zu tun? Was für ein Monster war zu einer solch sadistischen Tat fähig?
»Der Mörder hat sie gefoltert.«
Erschrocken drehte Oliver sich um. Frau Scholten, die Leiterin der Spurensicherung, stand hinter ihm und runzelte die Stirn.
»Meine Güte, er muss wirklich wütend gewesen sein. Es muss Stunden gedauert haben, bis sie tot war.« Mit diesen Worten ging sie einmal um das Bett herum. Es stand in der Mitte des Raumes. Oliver betrachtete Ingrid Scholten genau. Trotz ihres Alters war sie immer noch eine attraktive Frau. Ihre rotblonden, kurzgeschnittenen Haare waren perfekt frisiert und die tiefen Furchen, die sich im Laufe der Jahre in ihre Stirn gegraben hatten, verliehen ihrem Äußeren eine übernatürliche Autorität. Sie hatte schon viele Grausamkeiten in ihrem Leben gesehen. War an unzähligen Tatorten gewesen, doch hier und jetzt wirkte sie nicht so abgeklärt wie sonst.
Oliver folgte Frau Scholten um das Bett herum. Hinter dem Kopfende entdeckte er eine Nachtkonsole, auf der verschiedene grellbunte Sexspielzeuge aus Plastik lagen. Er griff nach einem Flyer, von dem ihm in großen roten Buchstaben die Zeile »www.KAUFmich.com« entgegensprang. In kleiner schwarzer Schrift stand darunter: »Wir sind vielseitige Amateurmodelle, die sich mit dir vergnügen möchten ...«
»Ich glaube, wir haben es hier mit einer Prostituierten zu tun. Ich hatte mich schon darüber gewundert, dass das Bett mitten im Zimmer steht.«
»Ja, es sieht so aus. Sehen Sie sich mal diesen großen Spiegel an. So etwas findet man nicht oft in deutschen Schlafzimmern.«
Oliver ging hinüber zu einem schmalen Sekretär, der unter dem Fenster stand. In der
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