Der Kampf des Geisterjaegers
Kapitel 1
Ein Besucher aus Pendle
Die Hexe jagte mich durch den dunklen Wald und kam mir mit jeder Sekunde immer näher.
Verzweifelt Haken schlagend, versuchte ich, ihr zu entkommen. Die Zweige peitschten mir ins Gesicht und die Stacheln der Brombeeren schienen meine müden Beine festzuhalten. Keuchend stieß ich den Atem aus und quälte mich weiter Ich musste zum Waldrand gelangen. Dahinter lag der Abhang, der zum Westgarten des Spooks führte. Wenn ich dieses Refugium erreichte, war ich sicher!
Dabei war ich nicht einmal wehrlos. In meiner Rechten hielt ich meinen Eschenstab, der gegen Hexen besonders wirkungsvoll war, in der Linken lag meine Silberkette wurfbereit um das Handgelenk gewickelt. Aber würde ich überhaupt die Gelegenheit haben, eine der beiden Waffen einzusetzen? Um die Kette zu werfen, musste ein gewisser Abstand zwischen uns sein, und die Hexe war mir bereits dicht auf den Fersen.
Plötzlich verstummten die Schritte hinter mir. Hatte sie aufgegeben? Ich rannte weiter. Mittlerweile schien der Mond durch das Blätterdach und tauchte den Boden zu meinen Füßen in silbriges Licht. Der Wald lichtete sich. Ich hatte seinen Rand fast erreicht.
Gerade als ich am letzten Baum vorbeirannte, erschien sie wie aus dem Nichts und lief von links auf mich zu, mit im Mondlicht blitzenden Zähnen und ausgestreckten Krallen, als ob sie mir die Augen auskratzen wollte. Ich schwenkte im Laufen zur Seite ab und schleuderte mit einem Schwung des linken Handgelenks die Kette nach ihr. Einen Augenblick lang dachte ich schon, ich hätte sie, doch sie wich ganz plötzlich aus, und die Kette fiel harmlos zu Boden. Im nächsten Moment prallte sie aus vollem Lauf mit mir zusammen und schlug mir den Stab aus der Hand.
Ich knallte so hart auf dem Boden auf, dass mir die Luft wegblieb. Sofort war sie über mir und drückte mich mit ihrem Gewicht nieder. Einen Augenblick lang wehrte ich mich, aber ich war zu atemlos und erschöpft und sie war wirklich stark. Sie saß auf meiner Brust und drückte mir die Hände neben dem Kopf auf den Boden. Dann neigte sie sich vor, sodass sich unsere Gesichter fast berührten und ihr Haar wie ein schwarzes Leichentuch meine Wangen bedeckte und das Sternenlicht auslöschte. Ihr Atem strich über mein Gesicht. Doch roch er nicht übel wie der einer Blut- oder Knochenhexe. Er war wie der Duft von Frühlingsblumen.
»Jetzt hab ich dich, Tom!«, rief Alice triumphierend. »Das war wohl nicht gut genug, was? In Pendle musst du besser sein!«
Dabei lachte sie und rollte von mir herunter. Immer noch nach Luft ringend, richtete ich mich auf. Nach ein paar Augenblicken erst war ich so weit, dass ich aufstehen und meinen Stab und meine Kette aufheben konnte. Obwohl Alice die Nichte einer Hexe war, war sie meine Freundin und hatte mich im letzten Jahr mehr als einmal gerettet. Heute hatte ich ein Überlebenstraining absolviert, bei dem Alice eine Hexe gespielt hatte, die hinter mir her war. Eigentlich hätte ich dankbar sein sollen, aber ich ärgerte mich. Es war schon der dritte Abend in Folge, dass sie mich überwältigt hatte.
Als ich den Hang zum Haus des Spooks hinaufging, kam Alice an meine Seite und passte sich meinem Schritt an.
»Kein Grund zum Schmollen, Tom«, meinte sie leise. »Es ist ein schöner warmer Sommerabend. Lass uns das Beste daraus machen, solange wir können. Bald werden wir unterwegs sein, ganz bestimmt, und dann werden wir uns wünschen, dass wir wieder hier wären.«
Alice hatte recht. Anfang August würde ich vierzehn werden und war nun schon über ein Jahr der Lehrling des Geisterjäger. Auch wenn wir bereits viele ernste Gefahren zusammen überstanden hatten, drohte uns doch noch etwas Schlimmeres. Der Spook hatte seit einiger Zeit Berichte gehört, dass die Bedrohung durch die Hexen von Pendle immer größer wurde. Er hatte mir gesagt, dass wir bald dorthin reisen würden, um uns mit diesem Problem zu befassen. Aber es waren Dutzende von Hexen und vielleicht noch Hunderte ihrer Anhänger, daher fiel es mir schwer zu glauben, dass wir gegen solch eine Übermacht etwas ausrichten konnten. Schließlich waren wir nur zu dritt: der Spook, Alice und ich.
»Ich schmolle gar nicht«, sagte ich.
»Tust du wohl. Dein Kinn hängt ja fast bis auf den Boden.«
Schweigend gingen wir weiter, bis wir den Garten erreichten und zwischen den Bäumen das Haus des Spooks erkennen konnten.
»Er hat noch nicht gesagt, wann wir nach Pendle gehen, oder?«, erkundigte sich Alice.
»Kein
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