Zuckerblut
gewesen‹, dachte er und grübelte weiter über die Bedeutung der Punkte, als Paul Wellmann von der Vernehmung in der JVA zurückkehrte.
»Schau mal, Paul, da gibt uns jemand ein Rätsel zu knacken«, begrüßte er seinen langjährigen Mitarbeiter und zeigte ihm den Plan. Wellmann war fast in Lindts Alter und vor einigen Jahren auch zum Hauptkommissar befördert worden. Seit über zwanzig Jahren arbeiteten die beiden eng zusammen. Es war ein harmonisches Verhältnis unter Kollegen, eigentlich schon freundschaftlich, was sie verband. Häufig redeten sie auch über private Angelegenheiten und wenn der eine etwas zu feiern hatte, war der andere mit dabei.
»Kannst du dir vorstellen, was diese fünf Markierungen bedeuten sollen? Mir fällt nichts Außergewöhnliches dazu ein. Alles Wohnhäuser, wenn ich die Orte richtig im Kopf habe.«
»Lass uns doch die Punkte mal anfahren. Vielleicht fällt uns etwas auf.«
Lindt nickte und griff nach der Jacke, als das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte.
»Wo? ... Ja, ich weiß ... Wir kommen sofort!«
Wellmann hatte nur Gesprächsfetzen mitbekommen, konnte sich aber schon denken, worum es ging.
»Weibliche Leiche im Wald hinterm Schlossgarten, nicht weit von der Majolika«, informierte ihn sein Kollege, als sie zum Wagen eilten.
2
Es hatte um die Mittagszeit zwar aufgehört zu regnen, aber nach wenigen Schritten durch das Unterholz am Tatort waren die Hosenbeine der beiden Hauptkommissare dennoch klatschnass. Von der Schutzpolizei war mit rot-weißem Band weiträumig abgesperrt worden und die Spurensicherung packte gerade ihre Gerätschaften aus. Zwei Studentinnen der nahe gelegenen Pädagogischen Hochschule hatten beim Joggen die leblose Frau im Dickicht entdeckt.
»Es sah erst so aus, als hätte jemand dort Altkleider und Schuhe weggeworfen«, berichteten sie. »Wir sind dran vorbei gelaufen, haben aber irgendwie noch mal zurückgeschaut und dann einen riesigen Schreck bekommen.«
Lindt betrachtete aus einigen Metern Entfernung den völlig bekleideten Körper einer vielleicht vierzigjährigen Frau, die halb verdeckt im Unterwuchs lag. Das helle Grün frisch ausgetriebener Ahornblätter nahm dem Anblick etwas von seiner Grausamkeit.
Er bemerkte eine Schleifspur, die im Waldboden bis zu den Schuhen der Toten führte. »Schaut mal dort vorne auf dem Weg, ob sich ein Reifenprofil findet«, wies er die Mitarbeiter der Spurensicherung an und zeigte in die entsprechende Richtung.
»Da mache ich mir keine großen Hoffnungen, Herr Lindt«, antwortete einer der Beamten im weißen Schutz-overall. »Vor dem Regen heute Morgen hatten wir fast eine Woche keinen Niederschlag. Der Boden war ganz trocken und hart, da werden wir kaum Abdrücke sehen.«
»Sucht trotzdem den ganzen Weg ab, vielleicht stoßt ihr doch auf eine Stelle, die was hergibt.«
»Der Waldweg ist ja ziemlich schmal«, mischte sich Paul Wellmann ein, »kaum zwei Meter breit, eigentlich nur für Spaziergänger – da wird sicher nicht viel gefahren.«
Lindt nickte und zeigte auf die Leiche: »Sieh mal dort am Hals, Paul.« Deutlich waren blaurote Stellen zu sehen.
»Sieht ganz nach Würgemalen aus«, bestätigte Wellmann die Einschätzung seines Chefs. »Mal sehen, was die Frau Doktor dazu meint, ach, da kommt sie ja schon.«
Gerade traf die Ärztin der Gerichtsmedizin ein und begann, den leblosen Körper in Augenschein zu nehmen.
»Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die Tat nicht hier geschehen«, teilte sie nach einigen Minuten eine erste Einschätzung mit.
»Todeszeitpunkt und Ursache? Können Sie schon was sagen?«, wollte Lindt wissen.
»Hier vor Ort sehe ich nur die Hämatome am Hals, die Blutergüsse, die Ihnen ja auch schon aufgefallen sind. Sie haben wahrscheinlich Recht, alles deutet darauf hin, dass die Frau erwürgt worden ist.«
Sie legte die Stirn in Falten. »Ja und wann die Tat geschehen ist ... allen Anzeichen nach irgendwann gestern Abend, aber Näheres erfahren Sie nach der Obduktion.«
Der Kommissar bedankte sich: »Also morgen im Lauf des Vormittags?«
»Das werde ich wohl schaffen – außer Sie beide helfen mit, dann sind wir vielleicht etwas schneller.«
Die Ärztin lachte, als sie das energische Kopfschütteln von Paul Wellmann bemerkte. »Muss nicht unbedingt sein – uns reicht dann Ihr Bericht.«
Oskar Lindt war weniger heikel, was die Atmosphäre in einem Sektionssaal anbelangte. Ab und zu schaute er den Gerichtsmedizinern bei einer Obduktion über die Schultern,
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