Zwei Toechter und drei Hunde
senkte und seine Decke über ihn breitete, den abgeknabberten Gummiball neben ihn legte, ist es mir, als sei es gestern gewesen. Ich kann mich einfach nicht damit abfinden. Wieder erlebe ich, wie er, der gewaltige Fresser, immer dünner wurde und so zu frieren begann, daß er schließlich zu mir ins Bett kroch, um sich zu wärmen. Nur Durst hatte er immer, nur Durst. Minutenlang soff er unten am Bach, um das teuflische Feuer zu löschen, das in seinen Eingeweiden fraß. In den letzten Tagen mußte ich ihn zu seinem geliebten kleinen Bach hinuntertragen, weil er es nicht mehr bis dorthin schaffte. Und dann, als er im Hundehimmel war, wo er sicher wieder in voller königlicher Kraft über die anderen Himmelshunde herrscht, geschah etwas Seltsames: alle Hunde der Nachbarschaft, die sich sonst nie hereingetraut, kamen in den Garten und hoben feierlich das Bein: der Rattler von nebenan, der Foxl von gegenüber, der Setter vom Gutshof, der Boxer vom Sägewerk. Sie alle kamen, spendeten ihren Gruß und verweilten eine Zeitlang bei Weffi, der neben dem frischen Hügel saß und jede Speise verweigerte...
Und gerade, als ich an ihn, den Weffi, denke, macht es >uuuaaahhh< von der Terrassentür. Dort sitzt er, der letzte der drei, und gähnt in all den glänzenden, sonnentrunkenen Tag. Wie hundert Jahre alt sieht er aus, finde ich, und das Herz tut mir weh.
Aber die Mama sieht auch nicht viel besser aus, als sie jetzt auf den Balkon tritt und auf mich herunterschaut. Die Augen scheinen größer geworden und die Nase spitzer, weil ihr an sich schon kleines Gesicht seit Cockis Tod eingeschrumpft ist. Auf irgendeine mysteriöse Weise hatte sie seit Beginn seiner Krankheit ihr Leben mit dem seinen identifiziert, und seit seinem Fortgang besteht ihr Dasein nur noch im Warten auf den eigenen Tod. Jeden Tag bekommen wir serviert, daß die sechshundert Mark, die sie sich für ihren Sarg gespart habe, oben in ihrer Schublade lägen, »weil ja im Moment, wo ich zu Cocki gehe, wahrscheinlich wieder mal kein Geld im Hause ist«. Außerdem will sie dauernd, daß ich zur Gemeinde gehen und fragen soll, ob es nicht doch möglich wäre, im Garten zwischen Cocki und Peter begraben zu werden. Peter ruht in der westlichen Ecke unter dem Holunderbusch. Cocki habe ich unter dem Flieder begraben. Dort fing er — schon ehe seine Krankheit uns in ihrer ganzen Schwere offenbar wurde — ständig an zu buddeln. Er fühlte den Tod in sich, und der Wildhund in ihm erwachte, der ur-ur-alte, der sich sterbend im Dickicht verkriecht. Ach, mein Cockchen... Wenn doch nur Frauchens geheime Mission Erfolg hätte...
»Wo ist eigentlich Frauchen?« fragt die Mama von oben, als habe sie meine Gedanken gelesen.
»Keine Ahnung«, lüge ich.
»Und an der Einfahrt machst du wohl auch nicht weiter?«
»Nein.«
»Na, ist egal. Geht mich ja hoffentlich bald nichts mehr an.« Weg vom Balkon, Tür zu. Mein Schloßgeist, mein aggressiver, witziger, ewig deine beiden wilden >Kinder< triezender — was ist aus dir geworden!
»Hallo — Colonel!« sagt Susannes Stimme. Den Spitznamen >Colonel< haben mir meine beiden Töchter auf Pump vor sieben Jahren verpaßt, weil ich angeblich einem Obersten in einem amerikanischen Kriegsfilm ähnlich sah, der großen Eindruck auf sie machte. Susanne steht drüben im Hauseingang und wartet offenbar darauf, daß sie mir ihr Herz über ihren Marc ausschütten kann. Ich aber sage nur unverbindlich »hallo« — und tue, als ob ich arbeite. Fremden Kummer kann ich im Augenblick einfach nicht ertragen. Sie geht wieder ins Haus.
Kurz darauf erscheint an ihrer Stelle Addi und beginnt, im Garten irgend etwas zu pflanzen. Plötzlich hält sie inne und sieht zu mir: beide denken wir an das gleiche: Wie Cocki bei solchen Gelegenheiten immer mit gefurchter Löwenstirn hinter ihr stand. Sobald sie verschwunden war, grub er mit seinen dicken Tatzen die Blumenzwiebeln wieder aus, beroch sie und watschelte dann voller Verachtung von dannen: blödsinniges Volk, diese Zweibeiner. Vergraben solchen Mist. Wenn’s noch ein schöner, stinkiger Knochen wäre...
Addi kommt zu mir herüber, steht einen Augenblick neben mir und streicht mir über den Kopf: »Wann kommt denn Anette?« (Sie ist in die geheime Mission des Frauchens eingeweiht.)
»Lange kann’s nicht mehr dauern.«
»Na, es wird schon helfen«, sagt sie, beugt sich zu mir nieder und gibt mir einen Kuß. Ich sehe ihr nach, wie sie zum Haus zurückgeht, und in meinem Herzen beginnt so eine
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