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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blazon Nina
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Unwirklichkeit verstärkte sich wieder.
    Madison ließ sich gegen die Lehne fallen und federte dagegen, während ihr Blick über das Papier glitt. Zu spät fiel Jay ein, dass es vielleicht doch keine gute Idee war, ihr die Blätter zu überlassen. In diesem Moment runzelte sie schon überrascht die Stirn.
    »Du heißt gar nicht Jay?«
    »Doch, es ist nur … mein zweiter Name.«
    Was glatt gelogen war. Aber in Amerika konnte man problemlos auch nur den ersten Buchstaben eines Namens als Rufnamen verwenden und kein Lehrer dachte sich etwas dabei.
    »Gefällt dir dein erster Name nicht?«
    Nicht mehr . Nie mehr. Er ist Vergangenheit.
    »Jay gefällt mir einfach besser. Außerdem nennt mich auch mein Vater so.«
    Nannte. Vergangenheit. Gewöhn dich endlich daran.
    Madison nickte nur und überflog seinen Stundenplan. »Modern Novels«, murmelte sie anerkennend. »Den Kurs habe ich auch gewählt und am Montag sind wir zusammen in Rhetorik. Oh, und du musst auch Romeo and Juliet lesen? Wir haben fast alle Wahlkurse gemeinsam.«
    Diesmal war Jay wach genug, um nicht »ich weiß« zu sagen. Es war schwierig gewesen, etwas über Madison herauszubekommen. Nicht einmal ihre Mitschüler schienen besonders viel über sie zu wissen. Aber immerhin hatte er es geschafft, über Sally und ein paar andere Mitschüler ihre Kurse rauszubekommen – und er konnte sich anhand ihrer Wahlkurse ausrechnen, dass sie Filme mochte.
    Gerade wollte er den Faden aufgreifen, als die Schulglocke scheppernd dazwischenfuhr. Er hatte sich schon an vieles gewöhnt, nur nicht an die Geschwindigkeit, mit der die Schüler am Ende jeder Stunde aufsprangen und zusammenpackten. Die wenigen Minuten, die sie zum Wechsel des Klassenzimmers hatten, liefen stets so hektisch wie eine Feuerwehrübung ab. Ehe er sich’s versah, hatte auch Madison ihre Sachen zusammengesucht und verabschiedete sich mit einem schnellen »See you«. Dann war sie verschwunden, als hätte er das Gespräch eben nur geträumt.
    *
    Schon seit seinem ersten Tag an der Highschool war er so darum bemüht, jede Begegnung mit Madison wie einen Zufall wirken zu lassen, dass er völlig überrascht war, ihr an diesem Nachmittag nach Schulschluss tatsächlich einfach so über den Weg zu laufen. Sie stand mit einer Gruppe von Mädchen vor der Schule. Jay blieb stehen, wandte sich halb ab und nestelte an seiner Tasche herum. Von hier aus gesehen, wirkte die Schule wie ein Bunker: rotbraun und klotzig, mit vergitterten Fenstern im untersten Stockwerk. Ein hoher Metallzaun umfasste das ganze Gelände – sowohl den alten Trakt aus Backstein als auch das neue Stück, das zwar rostrot gestrichen war, aber trotzdem nicht zum restlichen Bau passte. Die Kantine überspannte ein Dach aus Stahlstreben und Glas.
    Mit einem Ohr hörte Jay, wie Madison sich von den Mädchen verabschiedete, dann sah er sie mit einer Mitschülerin davongehen. Einen Augenblick war er unschlüssig. Aber dann dachte er an seinen Vater und die Erinnerung riss ihn aus der Lethargie. Was soll’s? Wann, wenn nicht jetzt? Es spielt keine Rolle
und vielleicht ist morgen schon alles zu spät.
    Dank seiner längeren Beine konnte er sie mühelos einholen, ohne den Eindruck zu erwecken, er würde ihr hinterrennen. Madison schien kaum überrascht zu sein, ihn zu sehen. Ihre Freundin dagegen – eines von den farblosen Mädchen, über die Sally und Jenna sich sicher lustig machten – zog fragend die Augenbrauen hoch.
    »Hi«, sagte Jay. Jetzt starrte die Freundin Jay so feindselig an, als hätte er nach dem nächsten Stundenhotel gefragt.
    Madison deutete im Gehen zur Straßenecke, wo das Subway-Schild vor einem Treppenabgang prangte. Sie war zwar für ein Mädchen ziemlich groß, aber dennoch musste sie zu ihm aufsehen. »Musst du auch zur Sub?«
    »Nein, ich wohne hier gleich um die Ecke. Ein paar Straßen in Richtung Berry Street, Ecke dritte, Süd.«
    Pause.
    »Oh, tja, ich muss in die andere Richtung.« Jetzt funkelten ihre Augen doch amüsiert auf. »Falls das ein plumper Versuch sein sollte, mich zu begleiten und mich anzumachen: Das wäre in jeder Hinsicht ein Umweg für dich.«
    Madisons Freundin wirkte mit einem Mal sehr erleichtert und beschleunigte ihre Schritte. Jay ballte die Hände in den Jackentaschen zu Fäusten. Danke, Madison! Du machst es mir ja wirklich leicht.
    Im Film wäre es der perfekte Zeitpunkt gewesen, ihn triumphierend stehen zu lassen. »Tja, bis dann, Jay.« Und: Cut!
    Aber Madison ging nicht weiter. Ihre

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