Zweilicht
bemüht, alles richtig zu machen. Er sorgt sich viel. Aber sobald es Abend wird …« Date. Musik. Tanzen. Lounge. Amanda mit den roten Lippen. Jennifer. Caitlin. Mo musste lächeln. »Du hast recht, er könnte in der Kolonie für jede Menge Ärger sorgen. Die Männer hier sind eifersüchtig – und die Frauen ausgehungert nach Sonne und einem schönen Lachen, nicht wahr?«
»Vor allem wäre er nützlich«, gab Coy mit gut geheuchelter Fürsorge zu bedenken. »Einen Arzt könnte die Kolonie sehr gut gebrauchen.«
Mo lachte und wandte sich von dem jungen Mann ab. Sie freute sich diebisch, als Coy einen enttäuschten Schrei ausstieß. »Ach komm schon, Mondmädchen«, rief er und lief neben ihr her. »Wozu hast du die Magie? Das ist deine Insel, schon vergessen? Lass uns den Laden hier endlich wieder ein bisschen aufmischen.«
»Hat dir der Winter nicht genügt?«, erwiderte sie mit gespielter Strenge.
Im Vorübergehen strich sie dem kleinen Mädchen mit den Fingerspitzen über die Stirn und zog dabei die Worte Pizza. Geburtstag. Fernsehen. Glitzerbox. Haarspange hinter sich her wie den Schweif einer bunten Sternschnuppe. Fast konnte sie den Zuckerguss von Cup Cakes schmecken; irgendwo hallte ein schräg gesungenes Geburtstagslied.
Der ältere Mann mit den tiefen Falten auf der Stirn träumte dagegen nur von seiner Arbeit. Universität. Lehrauftrag. Mannahatta-Projekt. Vegetation. Inselmodell. Forschungsgeld.
Schließlich ging Mo zu der dunkelhäutigen Frau und spürte, wie Coy gespannt den Atem anhielt. Sie wunderte sich darüber, dass auch sie nervös wurde und zögerte. Vielleicht sollte ich mit Night reden , dachte sie. Aber sie konnte sich denken, was die Älteste davon halten würde. Mo straffte die Schultern. Der Kojote hat recht. Es ist meine Insel – und meine Magie.
»Also gut, versuchen wir es.«
Und auch diesmal war Coy klug genug, keinen Freudenschrei auszustoßen.
»Vielleicht gelingt es ein weiteres Mal«, sprach sie sich leise Mut zu. »Mal sehen, was es uns diesmal bringt.«
Sie seufzte und verließ mit dem Ausatmen ihre Mondmädchengestalt. Während sie wieder Luft holte, ließ sie sich in die vertraute Wärme von Fuchsfell fallen. Noch einmal spielte sie mit dem Gedanken, doch zu dem jungen Arzt zu gehen. Ja, er gefällt mir, sogar sehr , dachte sie mit einem sehnsuchtsvollen Blick auf den verheißungsvollen Schwung seiner Lippen. Ich werde wiederkommen, ihn betrachten und darüber nachdenken. Aber heute nicht.
Heute entschied sie sich für die Frau im Sarkophag. Kühl glitt der glatte Steinboden unter ihren Pfoten dahin. Sie holte Schwung, stieß sich ab – und schnellte durch die Luft. Es war genau wie damals, als sie auf vier Beinen auf ein anderes Lager gesprungen war. Und wie damals kauerte sie sich nun dicht an den Menschenkörper und schmiegte ihre Stirn in die Halsbeuge der Frau. Sie wartete, bis ihrer beider Atem im Gleichklang war und sie beides spürte – das traumschwere Menschenherz und das aufgeregt pochende Fuchsherz, das geliebt, gehasst und verziehen hatte. Erst dann schloss sie die Augen und suchte sich den Weg in die Traumwelt der Fremden.
Vorsprechen. Neue Rolle. Theater. Broadway.
In ihrer Erinnerung eilte die Frau aus einer U-Bahn-Station und rannte, während sie im Laufen ihren Lippenstift aus der Tasche kramte.
Ganz anders als beim Film. Nervös. Spät dran. Hoffentlich.
Blätter mit Textzeilen rutschten aus der Tasche und flatterten im Wind davon, und die Frau schrie auf und versuchte sie zu fangen. Passanten blieben stehen und beobachteten ihren bizarren und anmutigen Tanz mit dem Papier. Ein Auto hupte. Mo schwelgte im Anblick der Autos und der spiegelnden Hochhausfassaden und erlaubte sich, im Hintergrund Jay zu betrachten. Er kam aus einem Kino und rieb sich im Herbstwind die Hände. Als würde er spüren, dass sie ihn beobachtete, sah er sich suchend um. Mo trat rasch zur Seite, verbarg sich im Schatten einer Werbetafel. Wie immer spielte sie auch jetzt wieder mit dem Gedanken, es doch noch einmal zu versuchen – mit einem Bann, einer Verführung oder einem Spiel mit der Sehnsucht, die er nach seiner alten Welt verspürte. Aber dann sah sie ihm einfach nur nach, als er nach einer Weile mit federnden Schritten den Broadway entlangging, traumverloren, ein wenig wehmütig, aber ganz und gar erfüllt von diesem fremden Glück, das ihn umgab wie ein weicher Schein von Goldlicht.:
Schließlich kehrte sie mit ihren Gedanken zu der Frau zurück, nahm
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