Zweimal ist einmal zuviel
Nachrichten waren von meiner Mutter. Sie wollte morgen ein leckeres Hühnchen in den Ofen schieben, und ich sollte zum Abendessen kommen. Aber ich sollte mich nicht verspäten, da Betty Szajacks Schwager gestorben war und Grandma Mazur unbedingt um sieben ins Bestattungsinstitut wollte.
Für Grandma Mazur waren die Todesanzeigen so etwas Ähnliches wie ein Veranstaltungskalender. In anderen Vierteln gab es Vereine und Bürgerhäuser. Bei uns gab es Bestattungsinstitute. Wenn es plötzlich keine Toten mehr gegeben hätte, wäre das gesellschaftliche Leben im Viertel vollständig zum Erliegen gekommen.
Ich aß das Eis auf und beförderte den Löffel in die Spülmaschine. Rex bekam noch etwas Futter und eine Weintraube, dann ging ich zu Bett.
*
Als ich aufwachte, trommelte der Regen an das Schlafzimmerfenster und auf die altmodische schmiedeeiserne Feuertreppe, die mir auch als Balkon diente. Abends, wenn ich mich ins Bett gekuschelt hatte, mochte ich dieses Geräusch, aber morgens konnte ich dem Regen überhaupt nichts abgewinnen.
Ich würde Julia Cenetta noch einmal aufs Dach steigen müssen, um herauszukriegen, wem der Wagen gehörte, mit dem sie abgeholt worden war. Das Telefon klingelte, und ich hob automatisch ab, auch wenn es eigentlich noch etwas früh für einen Anruf war. Mein Wecker zeigte 7.15 Uhr an.
Es war mein Freund Eddie Gazarra, ein Polizist.
»Guten Morgen«, sagte er. »Auf, auf, an die Arbeit.«
»Rufst du mich nur aus alter Freundschaft an?« Gazarra und ich waren zusammen aufgewachsen, und außerdem war er mit meiner Cousine Shirley verheiratet.
»Nein, ich habe ein paar Informationen für dich, aber das muß unter uns bleiben. Suchst du Kenny Mancuso immer noch?«
»Ja.«
»Der Tankwart, dem er ins Knie geschossen hat, ist heute morgen umgelegt worden.«
Ich sprang aus dem Bett. »Was ist passiert?«
»Es gab eine zweite Schießerei. Ich habe es von Schmidty gehört. Der hat den Notruf entgegengenommen. Ein Kunde hat Moogey Bues mit einem großen Loch im Kopf in der Tankstelle gefunden.«
»Mein Gott.«
»Ich dachte, das interessiert dich bestimmt. Es könnte ja eine Verbindung geben. Vielleicht hat es Mancuso nicht gereicht, ihm nur ins Knie zu ballern, und er hat ihm auch noch das Gehirn weggepustet.«
»Ich steh in deiner Schuld.«
»Wir könnten nächsten Freitag einen Babysitter gebrauchen.«
»So viel bin ich dir dann auch wieder nicht schuldig.«
Eddie knurrte und legte auf.
Ich duschte hastig, fönte mir die Haare und steckte sie unter eine New-York-Rangers-Mütze, die ich falsch herum aufsetzte. Ich trug schwarze Levis und ein rotkariertes Flanellhemd über einem schwarzen T-Shirt. An den Füßen hatte ich schwarze Doc Martens, die mich vor dem Regen schützen sollten.
Da Rex nach einer anstrengenden Nacht im Laufrad in seiner Suppendose schlummerte, schlich ich mich auf Zehenspitzen an ihm vorbei. Ich schaltete den Anrufbeantworter ein, schnappte mir meine Handtasche sowie die schwarz-lila Gore-Tex-Jacke und brach auf.
Die Tankstelle lag nicht weit von meinem Haus entfernt in der Hamilton Street. Auf dem Weg kaufte ich mir einen großen Becher Kaffee und eine Tüte Schoko-Doughnuts. Wer mit der Luftverschmutzung in New Jersey leben muß, braucht sich wegen ungesunder Ernährung nun wirklich keine Sorgen zu machen.
Die Tankstelle wimmelte von Polizisten, ein Krankenwagen stand auf dem Vorplatz. Aus dem Wolkenbruch war ein feiner Nieselregen geworden. Ich parkte einen halben Block entfernt, schob mich durch die Menge und hielt nach einem bekannten Gesicht Ausschau. Den Kaffee und die Tüte nahm ich mit.
Ich konnte nur eine einzige mir bekannte Person entdecken, und das war Joe Morelli. Ich drängelte mich zu ihm durch und hielt ihm die Doughnuts hin. Er nahm einen und biß gleich die Hälfte ab.
»Noch nicht gefrühstückt?« fragte ich.
»Nein, ich bin aus dem Bett geklingelt worden.«
»Ich dachte, du wärst jetzt bei der Vice-Squad.«
»Bin ich auch, Walt Becker ist für den Fall zuständig. Aber er weiß, daß ich Kenny suche und hat mir deshalb Bescheid gegeben.«
Schweigend aßen wir unsere Doughnuts.
»Also, was ist passiert?« fragte ich.
Ein Polizeifotograf machte Aufnahmen vom Tatort. Zwei Sanitäter standen herum und warteten darauf, die Leiche abtransportieren zu können.
Durch die getönte Fensterscheibe des Büros beobachtete Morelli das Geschehen. »Er ist vermutlich gegen halb sieben erschossen worden. Um die Zeit öffnete er gewöhnlich die
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