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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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sein musste, blieb in dem Verhältnis zwischen Mutter und Tochter eine nicht heilende Wunde, auch wenn wir am Ende nicht mehr darüber sprachen. Selbst wenn die Mutter anderen anwesenden Personen Episoden aus ihrem Leben erzählte und die Erwähnung des Genossen Keller sich dabei nicht vermeiden ließ, nannte sie seinen Namen so nebenher, als hoffte sie, ihre Tochter würde ihn überhören.
    Ich war schon über vierzig, als ich es mir endgültig versagte, meine Mutter mit den immergleichen Fragen zu quälen. Ich erinnerte mich an einen Sonntagnachmittag, wahrscheinlich war es Winter. Durch die Fenster drang die letzte Dämmerung. Das Licht der Stehlampe neben der Couch fiel auf das in sich gekehrte Gesicht meiner Mutter. Nach dem Essen am Sonntag legte der Genosse Keller sich für gewöhnlich hin und schlief zwei, manchmal auch drei Stunden. Das war die Zeit für uns beide, seit ich ausgezogen war. Auch Fanny war endlich eingeschlafen. Wir tranken Kaffee, dazu zwei oder drei Gläser Kognak, sprachen über Alltägliches, ich erzählte von der Chagall-Ausstellung, die ich gerade vorbereitete, die Mutter von ihrem Dauerzwist mit Doro, ihrer Chefin in der Presseagentur. Wie sie unter dieser zwei Zentner schweren Stalinistin überhaupt arbeiten könne, fragte ich, worauf die Mutter sagte, dass Doros zwei Zentner nichts zu tun hätten mit ihrer politischen Überzeugung, die sich übrigens von ihrer eigenen nicht grundsätzlich unterscheide, und dass Doro auch keine Stalinistin sei, sondern eine Kommunistin, die Schweres durchgemacht habe, was auch ihre gelegentliche Unberechenbarkeit entschuldige.
    Ich war davon überzeugt, dass meine Mutter, liebte sie nicht aus unbegreiflichen Gründen ausgerechnet Eduard Keller, diesen Sekretär in höheren Diensten, es unter Doro keine vier Wochen ausgehalten hätte, dass sie vermutlich überhaupt nicht in dieser Presseagentur gelandet wäre, sondern eher in der Zeitschrift »Der Hund« oder in einem Kochbuchverlag, wo sie ihren eigentlich gut funktionierenden Verstand hätte behalten dürfen.
    Sie rede wie ihr Genosse Keller, sagte ich, der teile Doros Überzeugungen ja auch und habe auch Schweres durchgemacht, was seine Borniertheit und Sturheit wohl auch entschuldige. Nie würde ich verstehen, wie man so einen Mann lieben könne. Das müsse ich auch nicht verstehen, sagte die Mutter, worauf ich sagte, ich hätte aber mit ihm leben und obendrein zusehen müssen, wie meine Mutter sich so einem ungehobelten Kerl unterordne, als sei das gottgegeben, wie sie den ganzen politischen Irrsinn des Genossen Keller zu ihrem eigenen gemacht und zugelassen habe, dass auch mir, ihrer Tochter, der Kopf verkleistert wurde mit ideologischem Müll. Und wie sie überhaupt ertragen konnte, dass ihr einziges Kind sein Zuhause verlor, als der Genosse Keller einzog.
    Die Mutter saß mit lose vor dem Körper verschränkten Armen auf dem Sofa, sagte müde: Nun übertreib mal nicht, worauf ich, wie meistens bei derartigen Gesprächen mit meiner Mutter, in Tränen ausbrach.
    An diese und ähnliche Szenen aus meinem Tochterleben erinnerte ich mich genau. Und wenn ich jemandem erzählte, dass ich noch als erwachsene Frau darüber weinen konnte, dass meine Mutter vor Jahrzehnten den falschen Mann ins Haus gebracht hatte, musste ich lachen. Aber dieser Kummer gehörte dem Kind, das ich gewesen war, und war darum nicht zu tilgen. Erst seit dem Tod der Mutter vor sechs Jahren, seit mein kindliches Unglück seine Adressatin verloren hatte, war es allmählich zu einer schmerzfreien Erinnerung abgekühlt. Es war so, so ist es gewesen, nichts weiter.
     
    Mit der letzten Tasse Kaffee ging ich auf den Balkon. Es war erst halb neun, vor zehn müsste ich nicht aufbrechen, die Blumen hatte ich schon gestern Abend geholt. Im letzten Jahr hatte man mir den Blick in den Himmel halbiert. Auf das Flachdach des Neubaus gegenüber wurde ein fünftes Stockwerk gesetzt mit einer Terrasse, auf der ich noch nie einen Menschen gesehen hatte. Ich zündete mir eine Zigarette an, legte den Kopf in den Nacken und verfolgte einen zarten Wolkenschleier, der langsam über das Terrassendach in meine Richtung segelte. Als er senkrecht über mir stand, änderte er plötzlich die Richtung und zog in der gleichen Spur zurück, auf der er gekommen war. Ich schloss die Augen, öffnete sie wieder, der helle Himmel blendete mich, das Bild zersprang in flimmernde Punkte, ein Himmelsbild wie von Monet gemalt. Es blieb dabei, der kleine Wolkenfetzen flog

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