Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
Vorwort
W ir sind wahnsinnig unkompliziert geworden. Leider spüren wir selbst nichts davon. Warum tun wir, was wir tun? Warum lieben wir, was wir lieben? Fragen, so vielschichtig, dass sie kaum jemand für sich selbst beantworten kann. Uns ist nicht bewusst, dass längst andere die Antworten für uns geben.
Vergessen Sie für einen Moment, was Sie von Psychologie, Hirnforschung oder auch nur aus der eigenen Erfahrung über die Rätsel des eigenen Daseins wissen. Ohne dass wir es gemerkt haben, haben Ökonomen den Seelenhaushalt des modernen Menschen zu ihrer Sache gemacht.
Zur Vereinfachung einer überkomplexen Welt und zur Beschleunigung des Geschäftsverkehrs ist hinter den Kulissen unseres Lebens ein Modell aufgetaucht, das unser Leben nachhaltig verändert.
Man kann sich, so lehrt dieses Modell, das Leben sehr viel einfacher und einträglicher machen, wenn man unterstellt, dass jeder Mensch ausschließlich an sich und seinen Vorteil denkt. In diesem Buch soll es darum gehen, wie aus dem ursprünglich harmlosen Modell eine Falle wurde. Und wie gut sie getarnt ist.
Alle Fallensteller tarnen ihre Fallen. Im Wald können es mit Blättern und Erde verdeckte Fangeisen sein: Artefakte, die so tun, als seien sie Natur. Unter Menschen tarnt man die Fallen als Naturgesetze. So wie die Behauptung: »Der Mensch ist eigensüchtig« – und zwar von den Genen bis zu seiner Moral. Eine ökonomische Theorie hat diese These, unterstützt von modernen Rechenmaschinen, zu einem neuen Naturgesetz gemacht. Und wir beginnen es zu spüren.
In der heutigen Welt glauben viele, dass ihre Freiheiten und Wahlmöglichkeiten zahlreicher sind denn je. Und dass sie Theorien ja schließlich ablehnen oder akzeptieren können.
In Wahrheit haben sie sie nicht nur unwissentlich akzeptiert; sie leben und arbeiten längst damit.
Wir erleben die neue Ära des Informationskapitalismus. Er hat damit begonnen, die Welt in einen Geisteszustand zu verwandeln. Er tut und plant große Dinge. Er will Gedanken lesen, kontrollieren und verkaufen. Er will Risiken vorhersagen, einpreisen und eliminieren. Sein Hirn ist unablässig damit beschäftigt, herauszufinden, was Menschen tun, sagen, kaufen und welche Spielzüge sie als Nächstes planen. Wo immer sie ihm begegnen, treffen sie auf ein System, das alles immer besser weiß. Es spricht den Menschen das Recht ab, sich der Umwelt anders darzustellen, als sie sind. Was immer sie tun, es behauptet, dass sie es um des eigenen Vorteils willen tun.
Verhalten, für das es »keine Gründe« gibt, kennt der Informationskapitalismus nicht. Auch Freundschaft, Loyalität, Liebe haben in seinen Augen rationale Gründe, die im eigennützigen Interesse des Einzelnen liegen. Deshalb überall die Inflation von »Incentives«, von Belohnungen, die von den Boni der Wall Street bis zu virtuellen Orden und Abzeichen und »Like it«-Abstimmungen für die privatesten Dinge reichen.
Es gibt offene Spiele wie Schach und verdeckte Spiele wie Poker, bei dem keiner in die Karten des anderen schauen kann. Die Informationsökonomie atmet die Luft einer Pokerrunde. Ihre Welt ist eine Welt, in der niemand wirklich sagt und tut, was er denkt, aber jeder und jede durchsichtig werden, wenn man ihnen egoistische Absichten unterstellt. Deshalb dieser gewaltige Bedarf an Informationen. Deshalb dieser Zwang zu Verstellung, Bluff und zu falschen Fährten. Finanzalgorithmen tarnen Aktiengeschäfte, um heranpreschende Raubtieralgorithmen in die Irre zu führen, oder Raubtieralgorithmen füttern andere ökonomische Agenten in Lichtgeschwindigkeit mit falschen Informationen, um die Preise in die Höhe zu treiben. Menschen legen sich Scheinidentitäten zu, basteln sich Facebook-Profile für den Personalchef oder die Bank. Ganze Staaten senden falsche Signale, um Märkte zu verwirren. Es ist eine Gesellschaft, in der man nicht nur anderen, sondern sich selbst misstraut. Wer einmal so weit ist, der nimmt hin, dass seine Ausbildung, seine Erfahrung, sein Lebensweg nicht das bedeuten, was er glaubte, dass sie bedeuten.
Das Versprechen, Antworten auf Fragen zu finden, die man sich selbst noch gar nicht gestellt hat, die Behauptung, mehr über die Menschen zu wissen, als sie selbst, die Voraussagen darüber, was man will, ohne selbst schon davon zu wissen, der Vorschlag, wer Freund sein soll, sind strukturell identisch mit geheimdienst lichen Über wachungsalgorithmen, die von Verbrechen wissen, von denen der Verbrecher selbst vielleicht noch nichts
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