Zwölf tödliche Gaben 4: Vier singende Vögel

weiß sie es. O Gott!
    Sie drückt den Knopf und legt auf. Laut Stoppuhr hat der Anruf etwas unter fünf Minuten gedauert. Sie sitzt da und starrt das Telefon an. Da klingelt es erneut.
    Geh weg, lass mich in Ruhe!
    Nach dem fünfzehnten Läuten späht Agnes über die Trennwand und fragt Tracy, ob alles in Ordnung sei. Das Telefon klingelt weiter. »Ist es das Baby, meine Liebe? Haben Ihre Wehen eingesetzt?«
    Tracy reißt ihren Blick vom Telefon los und sieht die alte Dame flehend an. »Nein … Bitte, kann … Ich kann nicht … Es …« Sie setzt ihr Headset ab und weicht aus der Kabine zurück. Ihr Magen revoltiert – es ist wie damals mit der morgendlichen Übelkeit.
    Mit besorgter Miene eilt Agnes um die Trennwand herum, nimmt den Anruf an und sagt dem Mann am anderen Ende, was er hören will.
    Es ist dumm. Sie bildet sich das nur ein. Viele Leute hören sich am Telefon ganz ähnlich an, vor allem, wenn sie mit Oldcastle-Akzent sprechen.
    Agnes arbeitet unterdessen stöhnend und ächzend auf ihren »Höhepunkt« hin. Nur zehn Minuten  – sie muss sich wohl Sorgen machen, sonst hätte sie es nicht so schnell beendet. Die alte Dame trennt die Verbindung. »Was haben Sie, Tracy? Mir können Sie’s doch sagen: Was ist los?«
    Sie deutet auf das Telefon und sagt: »Ich … Ich dachte, es wäre …« Sie errötet, fingert an einem Knopf ihres Umstandskleids herum. »Ach, nichts.«
    Agnes grinst. »Ich weiß, was Sie meinen. In den ersten paar Monaten war ich auch überzeugt, dass ich mit meinem Nachbarn rede, mit dem Milchmann, mit dem Jungen, der donnerstags in der Bingohalle arbeitet … Am Ende hab ich mir gesagt: Na und? Sie wissen nicht, dass ich Sexy Sadie bin, was macht es also, wenn ich sie erkenne? Es ist doch sowieso alles nur Show und Schwindel.« Agnes steht auf und klopft auf den leeren Stuhl. »Kommen Sie. Je eher Sie wieder im Sattel sitzen, desto eher können Sie wieder was verdienen.«
    Tracy nickt. Es ist dumm.
    Sie nimmt ihren Platz ein.
    Agnes reicht ihr das Headset. »Das war einer meiner größten Fans, ruft mindestens zweimal die Woche an. Armer Kerl, kann einem echt leidtun. Seine Frau lässt ihn nicht ran. Weiß gar nicht, was er machen würde, wenn er mich nicht hätte!«
    Tracy bringt ein schiefes Lächeln zustande, und sie sagt Agnes nicht, dass sie die Stimme zu kennen glaubt. Sie wählt auch nicht die 1471, um herauszufinden, von wo der Anruf kam. Sie sitzt nur da und starrt das Telefon an, als wolle sie es zwingen, noch einmal zu klingeln und damit die letzte Nummer zu löschen, bevor sie der fatalen Neugier doch noch erliegt.
    Es ist dumm. Er war es nicht. Ihr Vater würde doch niemals eine Telefonsex-Nummer anrufen und ihr ins Ohr masturbieren, während ihre Mutter in einem Sarg im Beerdigungsinstitut liegt.
    Das Telefon klingelt, und sie muss sich beherrschen, um nicht aufzuschreien. Mit zitternden Fingern setzt sie ihr Headset auf, atmet dreimal tief durch und nimmt den Anruf an.
    Und sie denkt, dass es vielleicht schlechtere Jobs gibt, als Isolierverglasungen zu verkaufen.

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