Zwölf tödliche Gaben 4: Vier singende Vögel
Vier singende Vögel
Agnes steuert gerade mit Verve auf ihren vorgetäuschten Orgasmus zu, als bei Tracy endlich mal jemand an sein verdammtes Telefon geht. Ein » Hallo? « dringt aus ihrem Kopfhörer.
»Könnte ich bitte mit dem Hausbesitzer sprechen?« Sie ignoriert die lauten Schreie aus der Kabine nebenan – »Ja! Ja! O GOTT, JA!!! «
» Wieso? «
»Ich bin von der Firma PV –Safe – Lösungen rund ums Haus . Wenn Sie alle Fenster in Ihrem Haus kostenlos auswechseln könnten, wie viele würden Sie auswechseln?«
» Himmel, Herrgott noch mal! Ich war gerade im Bad! LASSEN SIE MICH GEFÄLLIGST IN RUHE ! « Das Klappern eines Hörers, der auf die Gabel geknallt wurde, dann das gleichgültige » brrrrrrrrr « des Wähltons.
Tracy stöhnt, stöpselt ihr Headset aus und hievt sich aus dem Stuhl. Ihre Blase bringt sie fast um. Oder vielmehr, der Babyfuß, der auf ihre Blase drückt, bringt sie fast um. In der einundvierzigsten Schwangerschaftswoche sieht sie aus, als hätte sie eine Couch verschluckt, und fühlt sich auch so. Sie zupft an ihrem geblümten Umstandskleid, das ihr zwischen die Pobacken gerutscht ist. Sehr stilvoll.
Tracy watschelt hinüber zu Mr Aziz, der an dem Schreibtisch neben der Tür sitzt und mit zusammengekniffenen Augen seine Wettzeitung studiert. Offenbar sucht er gerade die Pferde heraus, mit denen er morgen wieder Geld verlieren wird.
Sie streckt die Hand aus. »Pinkelpause.«
Er blickt nicht einmal zu ihr auf. »Schon wieder?«
»Ja, schon wieder.«
Er zuckt mit den Achseln und drückt ihr den Toilettenschlüssel in die Hand. Sie wird pro Anruf bezahlt, deshalb juckt es ihn nicht, wenn sie den ganzen Abend auf dem Klo verbringen will. Fünf Minuten später steht Tracy an der Kaffeemaschine, kaut auf einer Handvoll Magentabletten herum und wartet, bis ihr Kamillentee gezogen hat. Sie atmet das berauschende Aroma des Filterkaffees ein und wünscht inständig, das Baby würde sich ein bisschen beeilen, damit sie endlich wieder normal trinken kann. Sie hat so schon genug am Hals, da will sie nicht auch noch auf Koffein und Alkohol verzichten müssen. Sie nickt, als Agnes auf sie zugehumpelt kommt. »Wie läuft’s?«, fragt sie.
Die alte Dame grinst und lässt dabei ihr nagelneues Gebiss sehen. »Einundzwanzig bis jetzt.« Agnes beugt sich vor und flüstert theatralisch: »Ich werde Mr McWhirter einen dieser Cashmere-Pullover von Marks & Spencer kaufen.« Sie streicht sich über die bläulich getönte Betonfrisur. »Und vielleicht lass ich mir vom Weihnachtsmann einen neuen Hut schenken. Was ist mit Ihnen, meine Liebe? Wie kommen Sie so klar?«
Tracy zuckt mit den Achseln. »Ging schon mal besser.« Sie versucht zu lächeln – was riskant ist, weil die Tränen immer auf der Lauer liegen. Besonders, wenn jemand ein wenig Anteilnahme zeigt. »Chloe vermisst ihre Oma, mein Vater ist krank vor Kummer, und John hat seine Arbeit verloren …« Wie aufs Stichwort werden ihre Augen feucht. »Es tut mir leid.« Sie schnieft, fährt sich mit der Hand über das aufgequollene Gesicht. »Die blöden Hormone machen alles nur noch schlimmer.«
Agnes sagt gar nichts, nimmt sie einfach nur in die Arme. Sie riecht nach Veilchenpastillen, Pfefferminzbonbons und kaltem Zigarettenrauch. »Sie sollten nach Hause gehen«, sagt sie schließlich.
»Ich … Ich kann nicht.« Tracy zieht ein zerfleddertes Papiertaschentuch aus dem Ärmel und schnäuzt sich. »Wir brauchen das Geld für Mums Beerdigung …« Schnief.
Agnes blickt sich zu der Reihe von Kabinen um. »Wissen Sie was, bei mir läuft es diesen Monat nicht schlecht, wie wär’s, wenn Sie für eine Weile mein Telefon übernehmen? Und ein bisschen ›Sexy Sadie‹ spielen? Leicht verdientes Geld … Na ja, vorausgesetzt, das ganze Schreien und Stöhnen macht Ihnen nichts aus.« Sie zwinkert. »Macht einen übrigens ganz schön an. Wenn Sie heimkommen, werden Sie es kaum erwarten können, Ihrem Göttergatten die Hose runterzuziehen.«
Tracy ringt sich ein Lächeln ab und deutet auf ihre angeschwollene Leibesmitte. »Damit hab ich mir den Ärger ja überhaupt erst eingebrockt.«
Tracy rutscht auf ihrem Stuhl hin und her. Diese verflixten Hämorrhoiden sind noch schlimmer als die Hormone. Und Agnes’ Headset sitzt auch nicht richtig – dauernd bohrt es sich in ihr Ohr. »Ich hab deinen großen, harten Schwanz im Mund, und ich sauge ihn wie …« Sie starrt einen Moment ins Leere. »Wie ein Staubsauger!«
» Uuuhhhh, aaaahhh, mmmmhhh
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