0021 - Anruf aus dem Jenseits
auf den Hörer, den sie jetzt wieder hatte sinken lassen, und überlegte. Dieser Anruf, hatte er tatsächlich stattgefunden, oder war es nur ein böser Traum?
Ihr Vater wollte sie warnen. Vor einer Gefahr. Hier in der Klinik drohte ihr Gefahr.
Sheila überlegte weiter. Ihr gesamtes Fühlen und Streben war nur darauf ausgerichtet, daß dem Kind nichts passierte. Alles andere war ihr egal.
Das Kind mußte sicher zur Welt kommen.
Und Sheila Conolly entwickelte einen Plan.
Sie ahnte jedoch nicht, daß ihre Gegner auch nicht untätig waren…
***
Der Schlag war im Ansatz kaum zu erkennen. Er hätte dem dunkelhäutigen Kämpfer das Gesicht zerschmettert, doch Suko stoppte den Angriff im rechten Moment.
Der Trainer der Sparringspartner blies auf der Trillerpfeife. Die Gegner trennten sich und drückten sich die Hände. Dann lösten sie den Kopfschutz und nahmen den Mundschutz heraus. Beide Kämpfer waren in Schweiß gebadet. Suko warf sich einen Bademantel über, damit er sich keine Erkältung holte.
Er sprang aus dem Ringviereck und ging in Richtung der Duschen.
Um ihn herum wurde gekämpft und Konditionstraining betrieben. Ein weißblonder Hüne bearbeitete einen Sandsack mit solcher Konzentration, daß er für die Umgebung keine Augen mehr hatte. Ein anderer wiederum sprang Seil. Ununterbrochen. Als würde er dafür bezahlt.
Suko trainierte hart, aber für diesen Fanatismus hatte er nichts übrig als ein Kopfschütteln. Diese Typen konzentrierten sich nur auf ein Ziel. Alles andere ließen sie verkümmern.
Ein faltengesichtiger Landsmann stellte sich Suko in den Weg. Der Chinese war schon älter, bestimmt an die siebzig Jahre. Er hatte einen Narren an Suko gefressen und war hier im Trainingscamp als Mädchen für alles angestellt.
»Gut warst du heute, mein Junge, gut. Du mußt nur noch mehr Wucht, hinter die Konterschläge legen, dann ist alles klar. Da kann dich so leicht keiner mehr schlagen.«
Suko schüttelte den Kopf. »Weißt du, den Ehrgeiz habe ich nicht.«
»Schade.« Die Augen des alten Mannes verdunkelten sich. »Warum denn? Du bist jung, dir steht die Welt offen.«
Sukos Hand lag schon auf der Türklinke. »Du sagst es, mir steht die Welt offen. Aber nicht, wenn ich mich so herumprügele. Mach’s gut.«
Suko zog die Tür auf und verschwand im dahinterliegenden Gang. Fast wäre er gegen einen blonden Mann geprallt.
Der Mann war ich.
Suko stutzte, blieb stehen und verdrehte in komischer Verzweiflung die Augen.
Ich drückte mich von der Wand ab. »Pack deine Siebensachen und komm mit. Ich warte draußen auf dich.«
Suko blieb stehen. »Was ist los?«
»Erzähl ich dir später. Beeil dich.«
Ich ging zum Ausgang, während sich Suko achselzuckend den Duschräumen zuwandte.
Draußen knallte eine heiße Junisonne vom Himmel. Ein paar weiße Wolken störten das Blau des Himmels. Der Wind wehte aus Südwest und brachte noch mehr Wärme mit.
Meinen Bentley hatte ich im Schatten der Parkplatzmauer abgestellt. Die Türen standen offen, damit wenigstens der Durchzug etwas Kühlung brachte.
Ich setzte mich auf den Fahrersitz, ließ die Beine nach draußen baumeln und rauchte eine Zigarette. Dabei dachte ich über den Fall nach. Er sah wieder ziemlich kompliziert aus. Verstorbene hatten sich gemeldet. Nach ihren Worten mußten sie im Jenseits leiden. Ich konnte mir gut vorstellen, daß sie in einem Zwischenreich existierten, in einer Parallelwelt. Es gibt mehr als eine dieser Welten, das ist mir inzwischen hinreichend bekannt. Schließlich leben meine beiden großen Gegner, der Schwarze Tod und Myxin, der Magier, in diesen Dimensionen.
Aber wer war der Seelenhändler, von dem die Verstorbenen gesprochen hatten? Ein Mann namens Harris! Diesen Namen gab es in London mehr als tausendmal. Es würde schwierig sein, die betreffende Person herauszufinden.
Ich hatte mich mit dem Hafenamt in Verbindung gesetzt. Das Schiff Dark Cloud gehörte diesem Harris. Mehr war jedoch nicht zu erfahren. Die Adresse des Typs fand ich ebenfalls nicht heraus.
Zusammen mit Suko wollte ich den Kahn aufsuchen, weil jetzt keine unmittelbare Gefahr für Liz Manner und Martha Ilford bestand. Die Geister hatten sie nur warnen wollen.
Suko verließ das flache Trainingsgebäude. Er trug eine Sporttasche und wirkte wie ein Ringer.
Mein Partner war ein breitschultriger Kerl. Er hatte nur wenige Haare auf dem Kopf, die jedoch sorgfältig gekämmt waren. Bestimmt sehnten sich viele Schwerathleten nach Sukos muskulösem Körper.
Weitere Kostenlose Bücher