0021 - Anruf aus dem Jenseits
weiter. Vorbei an verrotteten, abgewrackten Kähnen, die doch noch ihre Liebhaber gefunden hatten. Auf den Decks lagen Männchen und Weibchen in der Sonne. Sie kümmerten sich weder um Gott noch um die Welt.
»So gut müßte man es auch mal haben«, meinte Suko. »Kannst du doch.«
»Und was machst du ohne mich?«
»Mir ginge es gut. Ich brauchte wenigstens nicht auf dich achtzugeben.«
Suko lachte. »Ist wohl eher umgekehrt.«
Lautlos zählte ich die Schiffe mit. Dann standen wir vor der Dark Cloud.
Der Name war nicht übertrieben. Das Schiff hatte einen schwarzen Anstrich, auf dem jetzt allerdings der Dreck der Jahre mehr als fingerdick lag. Kein Lebewesen regte sich auf dem Kahn. Die Sonne brannte ungehindert auf die Planken und heizte sie auf. Zwischen dem nächsten Schiff und der Dark Cloud befand sich ein ziemlich großer Zwischenraum. Wir blieben stehen.
»Sieht nicht gerade einladend aus, der Kahn«, meinte Suko. Ich hob die Schultern und blickte nach links. Dort rauschte die Themse vorbei. Die Wellen zeigten gleißende, glitzernde Schaumkronen. Schlepper zogen vollbeladene Containerschiffe durch die Fluten. Tief lagen die Kähne im Wasser. Im Gegensatz zur Dark Cloud. Da rührte sich nichts auf dem flachen Deck. Es gab nicht mal Aufbauten. Nur eben die glatten Decksplanken.
Suko nickte mir zu. »Dann wollen wir mal«, sagte er und flankte über das Eisengeländer.
Ein weiterer Schritt brachte ihn auf das tiefer als die Kaimauer liegende Deck.
Ich folgte meinem Partner.
Es war, als hätten wir eine andere Welt betreten, obwohl um uns herum reges Leben herrschte, glaubten wir, auf einer Insel gelandet zu sein. Die Luft war plötzlich nicht mehr die gleiche, sie schmeckte anders. Ich blickte zum gegenüberliegenden Ufer, sah die Pärchen auf den Bänken sitzen, entdeckte die Vögel in den Bäumen, hörte Stimmen und Verkehrsgeräusche. Es lief alles normal.
Und doch war da dieses ungute Gefühl, die Angst, in eine Falle geraten zu sein.
»Hier stimmt etwas nicht«, stellte ich fest.
Suko nickte. »Dann hast du es auch bemerkt.«
Ich gab keine Antwort, sondern schritt über das Deck dem Bug des Schiffes zu. Auf dem gemauerten Kai fuhren zwei Jungen vorbei. Sie hockten auf ihren Rädern und starrten zur Dark Cloud herüber. Eigentlich hätten sie mich sehen müssen.
Ihre Blicke glitten an mir vorbei, als wäre ich nicht vorhanden.
Ich rief.
Keine Reaktion. Die Jungen fuhren weiter.
Automatisch fuhr ich mit der Hand über die Augen.
Langsam wurde es mir doch unheimlich zumute. Dieses Schiff lag inmitten der normalen Welt, doch waren Menschen darauf unsichtbar. Welches Rätsel umgab diesen Kahn?
Ich drehte mich um. Vielleicht wußte mein chinesischer Freund und Partner einen Rat.
Noch in der Drehung stockte ich.
Suko war verschwunden.
***
Normalerweise rauchte Bill Conolly nicht viel, aber in der Wartezeit wurde er zum Kettenraucher. Er fraß die Zigaretten förmlich und wanderte in seinem Haus umher wie ein gereizter Stier.
Dieser Anruf hatte ihn völlig verwirrt. Es war ein Hilferuf aus dem Jenseits, soviel stand für Bill Conolly fest. Und der Anrufer hatte den Namen seiner Frau erwähnt.
Drohte Sheila vielleicht Gefahr? Ausgerechnet jetzt, da sie jeden Augenblick ihre Niederkunft haben konnte?
Bill zog scharf die Luft durch beide Nasenlöcher. »Ich werde noch verrückt!« keuchte er. »Das hält ja kein Mensch aus.« Er schnappte das Telefon und wählte Scotland Yard an. Er wollte mich sprechen, bekam aber nur Glenda Perkins an den Apparat.
»Hat John gesagt, wann er zurückkommt?« wollte Bill wissen.
»Nein, Mr. Conolly.«
»Und eine Nachricht hat er auch nicht hinterlassen?«
»Tut mir leid.«
»Schon gut, Miss Perkins. Danke.« Bill legte den Hörer wieder auf. Abermals begann das Nervenspiel. Erüberlegte, ob er seine Frau anrufen sollte. Aber Sheila schien bemerkt zu haben, daß mit ihm einiges nicht stimmte. Jetzt noch ein Anruf, und sie würde Fragen stellen. Unangenehme Fragen, denen Bill nur schlecht ausweichen konnte. Sheila merkte genau, wenn er log.
Bill Conolly leerte auch die dritte Flasche Orangensaft. Er schwitzte.
Zum zweitenmal an diesem Tag ging er unter die Dusche. Hier ließ er sich die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit noch einmal durch den Kopf gehen. Gut, John Sinclair war alarmiert worden. Aber John konnte nicht überall sein. Bill spürte, daß seiner über alles geliebten Frau Gefahr drohte. Er mußte sie schützen!
Der Reporter drehte die
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