0045 - Die Werwölfe von Wien
welche Bestie sich in ihrem Haus befand.«
»Wissen sie es heute?« fragte ich.
»Nein«, antwortete Benno. »Ich konnte es glücklicherweise vor ihnen geheim halten.«
»Wann erkannten Sie zum erstenmal, daß dieser Fluch auf Ihnen lastete?«
»Mit vierzehn Jahren verwandelte ich mich zum erstenmal in einen gefährlichen Wolf. Sie können sich nicht vorstellen, was für ein furchtbarer Schock das für mich war. Ich wollte mich nicht verwandeln. Ich wollte zu keiner reißenden Bestie werden. Ich wehrte mich verzweifelt dagegen. Aber ich konnte die Metamorphose nicht aufhalten. Deshalb versuchte ich, wenigstens zu verhindern, daß ich im Zustand des Wolfseins einen Mord beging. Ich schloß mich ein. Ich nahm Schlaftabletten. Als ich größer war, fuhr ich mit dem Wagen in Gegenden, wo keine Menschen waren, denn mir war klar, daß ich zum grausamen Mörder werden würde, wenn ich irgend jemandem begegnete.«
»Sind Sie sauber geblieben?«
»Ja«, ächzte Benno Messmer. »Aber es war nicht leicht.«
»Das kann ich mir denken.«
»Ich habe sehr viele Bücher über Werwölfe gelesen. Ich wollte herausfinden, wie ich mich von diesem schrecklichen Zwang, mich verwandeln zu müssen, befreien konnte. Aber darauf konnte mir zunächst keine der Schriften Auskunft geben. Ich war nahe daran zu verzweifeln.« Was für ein schreckliches Schicksal, dachte ich.
»Eines Tages fand ich Briefe, aus denen hervorging, daß meine richtigen Eltern Edda und Alban Tozzer hießen und in Wien wohnten«, fuhr Benno Messmer mit belegter Stimme fort. »Kurz davor hatte ich in einem Buch gelesen, daß ich nur dann eine Chance hätte, mich selbst zu erlösen, wenn ich die Höllenbande, die mich auf jede Entfernung mit meinen schrecklichen Eltern verbanden, durchtrennte. Nur ein paar Tage später fiel mir ein Bericht in die Hände, der sich mit Louis von Klipsteins Waffensammlung befasste. Ich erfuhr von diesem magischen Silberschwert, mit dem in der Vergangenheit schon Werwölfe getötet worden waren, und ich beschloss sofort, nach Wien zu fahren, den Baron zu bitten, mir sein Schwert zu leihen.«
»Warum haben Sie ihm nicht klar erklärt, wofür Sie das Schwert brauchen?« fragte ich.
»Ich befürchtete, daß er mir nicht glauben würde. Ich hatte Angst, daß ich ihn mit der Wahrheit verärgern würde.« Benno blickte auf Alban Tozzer. »Ich bin froh, daß meine schreckliche Zeit vorbei ist«, sagte er schwer seufzend.
Ich ließ meine Pistole sinken.
»Was ist?« keuchte hinter mir Golo Diess. »Sie erschießen ihn nicht, Sinclair?«
»Es ist nicht nötig.«
»Mann, der belügt uns doch alle, um sein verdammtes Fell zu retten.«
»Ich glaube ihm.«
»Töten Sie ihn!«
»Ich bin kein Mörder, Diess!« sagte ich scharf.
»Aber… aber er sagt doch nicht die Wahrheit! Wenn Sie ihn am Leben lassen, wird er schon morgen nacht über sein nächstes Opfer herfallen!«
»Das wird er nicht«, erwiderte ich. Ich steckte die Beretta in die Schulterhalfter, öffnete mein Hemd und fingerte das geweihte Silberkreuz heraus, das ich um den Hals trug.
»Ich versteh’ Sie nicht, Sinclair!« keifte Golo Diess. »Wie können Sie einen so schweren Fehler machen…?«
»Passen Sie auf!« fiel ich dem Spielhallenbesitzer ins Wort. »Sehen Sie dieses Kreuz?«
»Ja. Was ist damit?«
»Es ist aus Silber, und es ist geweiht. Wenn er der Metamorphose immer noch fähig ist, also wenn sich das Böse immer noch in ihm befindet, dann kann er dieses Kreuz nicht anfassen. Ist er aber erlöst, wie er sagt, dann wird es ihn nicht stören, das Kruzifix zu berühren.« Benno Messmer hatte meine Worte gehört. Er ergriff das Kreuz. Er hielt es lange in der Hand – und nichts passierte.
Das zerstreute auch Golo Diess’ Misstrauen.
Wir verließen den Zoo. Suko sagte: »Wir müssen die Polizei verständigen.«
Ich nickte und fragte Benno: »Werden Sie, wenn Sie hier mit den Behörden fertig sind, nach München zurückkehren?«
Der Junge schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich glaube, ich werde in Wien bleiben. Ich habe hier ein reizendes Mädchen kennen gelernt, das ich gern wiedersehen möchte…«
Benno wies auf das Schwert, das ich in der Hand hielt. »Wenn Sie es dem Baron zurückbringen, sagen Sie ihm, daß ich für den Schaden, den ich angerichtet habe, aufkommen werde.«
Ich schüttelte lächelnd den Kopf. »Darauf wird der Baron ganz bestimmt nicht bestehen.«
Damit war unser Fall abgeschlossen.
ENDE
[1] Siehe John Sinclair Nr. 21 »Anruf aus dem
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