0046 - Das Haus der Verfluchten
heraus.
»Ich muss schon sagen, ein reizender Empfang«, stieß sie hervor, als sie neben Zamorra und Nicole im Korridor des Verwalterhauses stand.
»Und alles nur wegen Ihnen!« Prüfend sah der Gelehrte das junge Mädchen an.
Sie zuckte bei seinen Worten nicht zusammen, sondern sah ihn gelassen an.
»Glauben Sie wirklich?«
»Ja, ich bin davon überzeugt, aber das war erst der Auftakt. Fühlen Sie sich stark genug, ein paar wahrscheinlich sehr hässliche Dinge anzusehen?«
Jetzt zögerte Lucille Renard doch etwas, sagte dann aber entschlossen: »Schließlich bin ich deswegen hergekommen.«
Dann machte Professor Zamorra die neue Erbin des Schlosses und seine Sekretärin mit den Verwaltern bekannt. Er vergaß auch nicht den alten Jean-Paul, der ebenfalls in der Nähe stand.
Immer wieder streifte sein Blick über Lucilles Gesicht. Er wollte sicher sein, dass die Ruhe dieses Mädchens nicht nur gespielt war.
Aber nach einiger Zeit war er überzeugt, dass die letzte Angehörige der Familie Bradois genügend innere Kraft besaß, um das mitzumachen, was er geplant hatte.
»Wir werden uns etwas Ruhe gönnen«, sagte Zamorra, »unsere Kraft brauchen wir heute Nacht.«
Widerspruchslos gehorchten die beiden Mädchen. Nicole brachte Lucille in ein Bett im Verwalterhaus, das Madame Dubois ihr zeigte.
Erst als sie sicher war, dass das Mädchen eingeschlafen war, kam sie wieder herunter.
»Bist du sicher, Chef, dass du Lucille beschützen kannst? Oder besteht vielleicht die Gefahr, dass nur sie alleine den Spuk wahrnehmen kann?«
»Das glaube ich auf keinen Fall. Aber ich werde trotzdem immer in ihrer Nähe sein. Ich darf dich bitten, Nicole, dich etwas im Hintergrund zu halten.«
Nicole nickte nur und verschwand dann auch. Zamorra dachte eine Weile nach und ging dann ebenfalls auf sein Zimmer.
Als er im Bett lag, hatte sich das Unwetter weitgehend verzogen.
Nur der Himmel leuchtete immer noch in der fahlen Farbe.
***
Genau um dreiundzwanzig Uhr schlug der Professor die Augen auf.
Es rumorte im Verwalterhaus. Offensichtlich waren Lucille und seine Sekretärin bereits auf den Beinen.
Der schlanke Mann schien von einer wilden Energie durchströmt zu sein, als er den Gang in Richtung der beiden Mädchen durchmaß.
Die Dubois und der alte Jean-Paul befanden sich ebenfalls im Wohnzimmer.
»Wir können jetzt nur noch warten«, sagte Zamorra. »Um zwölf gehen wir auf den Hof.«
»Hast du alles, Chef?«, fragte Nicole eindringlich und war erst zufrieden, als sie die Kette des Amuletts sah, die der Professor an zwei Fingern aus der Tasche zog.
Er hatte diesen massiven Silberschutz, den er von seinem Onkel geerbt hatte, heute nicht um den Hals gelegt. Sein Gefühl sagte ihm, dass dies heute und hier nicht der richtige Platz war.
Sie saßen schweigend in der Wohnstube der Dubois. Jeder versuchte krampfhaft, nicht an das zu denken, was vor ihnen lag, und doch malten sie sich insgeheim alles aus, was wohl geschehen würde.
Lediglich diesem Gelehrten war nichts anzumerken. Auch seine Sekretärin schien bemerkenswert ruhig zu sein.
Ab und zu sah jemand auf die große Uhr in der Stube. Die Zeiger schienen gar nicht weitergehen zu wollen, schienen über das Zifferblatt zu kriechen.
Dann war es bald so weit. Nur noch zwei Minuten bis Mitternacht.
Sie standen auf, und als die ersten Schläge der Kirchturmuhr des nahen Dorfes durch die Nacht hallten, gingen sie zum Ausgang.
Zamorra umfasste Lucilles Arm mit festem Griff und trat einige Schritte auf den Hof hinaus.
Nicole hinderte die anderen daran, weiterzugehen. Sie hatten sich damit zu begnügen, vom Hausflur aus zuzuschauen.
Als der letzte Glockenschlag verhallt war, wanderten Nebelschleier über den Hof und das Schloss.
Der Himmel zeigte die gleiche fahle Farbe wie am Nachmittag.
Dann verdichteten sich die Schleier und undeutliche Szenen wurden sichtbar.
Schnell, wie verwischte Schatten, zogen sie über den Hof. Plötzlich lag wieder das Wimmern in der Luft, das Zamorra bereits in der vergangenen Nacht gehört hatte.
Immer lauter wurde der Ton, und sie erkannten, dass es sich um die Klagen eines gepeinigten Menschen handeln musste.
Dann riss die Szene auf. Alles war deutlich zu erkennen.
Mitten auf dem Hof stand eine seltsame Vorrichtung. Auf einem Brett war eine noch junge, dunkelhaarige Frau festgeschnallt.
Ihr Gesicht war vor Schmerzen entstellt, der Mund schien ein schwarzes Loch in dem bleichen Fleck ihrer Züge zu sein.
Eine gleichmäßige, fast
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