0046 - Das Haus der Verfluchten
die Arbeitseinteilung auf den Feldern.
Erst dann wurde gemeinsam gefrühstückt.
Dieser Ablauf wurde an diesem Morgen derart unterbrochen, dass fast alle noch am Nachmittag mit verstörten Gesichtern herumliefen.
Als seine Frau das Schlafzimmer verließ, ging auch der Verwalter in den angrenzenden Raum und stieß dort die Läden auf.
Dieses Fenster führte in den Schlosshof und sofort sah Martin, dass dort ein fremder Wagen stand.
»Wem gehört denn dieser Citroën?«, wunderte er sich.
Dann fiel ihm ein, dass der Notar des kleinen Ortes Seissan ihm gestern die neue Besitzerin des Schlosses und der Ländereien angekündigt hatte.
Sorgenvoll dachte der Mann an die Erzählungen des alten Jean-Paul, der aus dieser Gegend stammte.
Der Alte hatte allerlei Unheil prophezeit, als er hörte, dass ein Erbe das Schloss bewohnen und in Besitz nehmen wollte.
Martin hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als der Schrei einer Frau ihn zusammenzucken ließ.
Mit einem Satz war der Verwalter durch das ebenerdig liegende Fenster in den Hof gesprungen.
Das war nicht das morgendliche vergnügte Gekreische der Mägde!
Da hatte ein Mensch geschrien, der unsagbar erschreckt worden war.
Martin rannte über den Hof und sah seine Frau, die am anderen Ende auf dem geschotterten Stück vor den Traktorenschuppen stand.
Vor ihr lag etwas auf dem Boden.
Was es war, konnte Martin nicht erkennen.
Erst als er näher kam, sah er, dass es sich bei dem Bündel um eine Gestalt handeln musste.
Trotz seiner dreiundfünfzig Jahre war Martin nicht außer Atem, als er bei seiner Frau anlangte.
Wortlos starrte er auf die fremde Dame, die vor ihm auf dem Boden lag.
Sie schien tot zu sein.
Das seltsame war, dass sie an Händen und Füßen gefesselt war!
Martin bückte sich und legte seine Hand an die Schlagader der Toten.
»Zwecklos«, murmelte er und stand wieder auf.
Seine Frau starrte ihn an und wollte ebenfalls niederknien, aber Martin hinderte sie.
»Sie ist tot, wie es scheint, schon lange. Ich werde Dr. Dassin und die Polizei anrufen.«
Er drehte sich auf dem Absatz herum und lief zum Haus, das an die eine Seite des Schlosses angebaut war.
Der alte Jean-Paul kam über den gepflasterten Hof geschlurft.
Erst vor der Verwaltersfrau, die er von Kind an kannte, und der unbekannten Toten blieb er stehen.
»Ich habe es ja schon gestern gesagt, es wird etwas passieren«, sagte er mit seiner brüchigen Stimme.
»Was soll das denn hiermit zu tun haben?«, fuhr Jeanne auf.
»Wenn du im Wagen nachsiehst, wirst du bestimmt feststellen, dass es sich um Madame Renard handelt, von der du gestern gesprochen hast. Sie ist doch die Erbin dieses Besitzes, und darum hat sie auch der Fluch getroffen, der über der gesamten Familie liegt!«
»Jean-Paul, red’ doch keinen Unsinn! Wir wissen zwar nicht, was hier geschehen ist, aber das ist doch unmöglich!«
»Ich glaube an die alten Geschichten«, sagte der Alte hartnäckig, »auch wenn wir schon lange nicht mehr davon sprechen und heute niemand etwas davon wissen will, es bleibt dabei! Ein Fluch lastet auf dem gesamten Geschlecht der Bradois und allen Nachkommen!«
Verärgert ging Jeanne zu dem schweren Citroën, der mit offener Tür im Hof stand.
Auf dem Beifahrersitz lag eine kostbare Handtasche aus Schlangenleder. Jeanne überlegte einen Moment und dachte dann, dass sie nichts verkehrt machen konnte.
Vorsichtig nahm sie die Tasche am Griff und zog sie auf den Fahrersitz herüber.
Der Verschluss war offen, und bei diesem Vorgang rutschte eine Damenbrieftasche hervor.
»Nimm lieber ein Taschentuch«, riet ihr der alte Jean-Paul, der ihr gefolgt war. »Wenn die Polizei Fingerabdrücke sucht, könntest du sie auf dem glatten Leder verwischen.«
Jeanne folgte seinem Rat und klappte die Brieftasche vorsichtig auf. Ein Ausweis fiel heraus und blieb so liegen, dass das Bild nach oben zeigte.
»Herr im Himmel«, stöhnte Jeanne.
»Habe ich also doch Recht gehabt«, sagte Jean-Paul leise. »Es ist tatsächlich die neue Besitzerin des Schlosses!«
Jeanne war fassungslos, und einen Moment überlief sie ein Frösteln. Sie dachte an die etwas unzusammenhängenden Reden des alten Jean-Paul.
Da kam aber auch ihr Mann schon zurück und sagte: »Die Gendarmen wollen gleich kommen. Als ich ihnen erzählte, was wir hier gesehen haben, alarmierten sie direkt die Mordkommission in Toulouse. Wir sollen nichts verändern oder anfassen. Dr. Dassin soll ebenfalls kommen. Die Gendarmerie hat ihn
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