0050 - Der Stein des Satans
Minuten hob er mit einem Ruck den Kopf.
»Es stimmt«, sagte er heiser.
Nicole runzelte die Stirn. In ihren Augen tanzten winzige Goldfunken. »Was stimmt?«
Bill Fleming atmete tief durch. Ganz deutlich war die fieberhafte Spannung von seinem Gesicht abzulesen, und die Bewegung, mit der er sich wieder dem Buch zuwandte, wirkte fast andächtig.
»Es ist ein Bericht über den Tod Leonardo de Montagnes«, sagte er. »Ein Teil der Familiengeschichte, den nicht einmal Zamorra selbst kennen dürfte. Unglaublich…«
***
Um die gleiche Zeit versuchte Professor Zamorra vergeblich, sich auf das Referat eines mexikanischen Parapsychologen zu konzentrieren, der über die Reste alter aztekischer Kulte in den entlegenen Hochtälern der Sierra Madre berichtete.
Der Professor saß zurückgelehnt auf seinem Stuhl und lauschte mit halb gesenkten Lidern. Im Grunde interessierte er sich lebhaft für die Ausführungen – er hatte bei einem seiner Mexiko-Besuche die dämonische Macht der alten Aztekengötter am eigenen Leib erfahren.
Es gelang ihm einfach nicht, den verschnörkelten Satzgebilden seines Kollegen zu folgen. Immer wieder irrten seine Gedanken ab. Irgendetwas störte seine Konzentration, schien von außen auf ihn einzuwirken und Eingang in sein Bewusstsein zu suchen. Er wusste nicht, was es war, er konnte es nicht lokalisieren in dieser von starken, einander widerstrebenden Gedankenströmen beherrschten Atmosphäre – aber er hatte durch lange Erfahrung gelernt, solche Impulse nicht zu unterdrücken, sondern seiner besonderen, fast medialen Sensibilität zu trauen.
Hinter dem kleinen Pult machte der Redner eine Pause. Er griff nach dem Glas mit Mineralwasser, nahm einen Schluck. Für einen Moment entspannte sich die Atmosphäre, und Zamorra spürte stärker als vorher die Ausstrahlung von etwas Unbekanntem, das nicht hierher gehörte.
Es ist Gefahr, dachte er.
Aber nicht Gefahr für mich…
Nicole?
Der Name der Frau, die längst mehr für ihn war als eine Mitarbeiterin, erweckte ein seltsam dunkles Echo in seinen Gedanken. Er hatte sie auf Château Montagne zurückgelassen, in Gesellschaft von Bill Fleming, der zwei Wochen Urlaub auf dem Schloss machte, bevor er nach einer Reihe von Gastvorlesungen an der Sorbonne wieder in die Staaten zurückflog. Zamorra runzelte die Stirn. Er schloss die Augen, versuchte sich jener unsichtbaren Strömung ganz zu öffnen, um herauszufinden, ob Nicole und Bill irgendeine Gefahr drohte – aber im gleichen Moment sprach der Redner weiter, und der Professor spürte die Schwingungen der wiedererwachenden Konzentration ringsum, wie ein Schwimmer die Wellen spürt, die vorbeifahrende Boote auslösen.
Zamorra biss sich auf die Lippen.
Quetzalcoatl, die gefiederte Schlange. Coatlique. Tukakame. Die alten aztekischen Namen fanden Widerhall in seinen Gedanken, überlagerten alles andere. Eben noch hatte er gemeint, einen unhörbaren Ruf zu empfangen, jetzt spürte er nichts mehr. Buchstäblich nichts! Nur die nagende Unruhe blieb – und er wusste, dass er diese Unruhe nicht loswerden würde, ehe er sich nicht überzeugt hatte, dass auf Château Montagne alles in Ordnung war.
Die nächste Pause des Redners benutzte er, um sich unauffällig zu erheben und einem Seitenausgang zuzustreben.
Draußen dämmerte es bereits. Die Luft war warm und frisch, der Duft nach Frühlingsblüten wehte von den Tuilerien herüber. Zamorra nahm ein Taxi, ließ sich zu seinem Hotel in Saint Germain fahren, und dort meldete er sofort ein Telefongespräch nach Château Montagne im Loire-Tal an.
Minuten später hörte er Nicoles Stimme.
»Hallo, Chef!« Sie hatte es sich immer noch nicht abgewöhnt, ihn so zu nennen, obwohl zwischen ihnen außer dem Arbeitsverhältnis auch das bestand, was die französische Sprache so charmant als Liaison bezeichnet. »Schön, dass du anrufst! Meine Grippe ist fast kuriert, ich überlege, ob ich nicht nachkommen soll.«
»Das wird nicht nötig sein, der Kongress dauert ohnehin nur noch zwei Tage. Und Bill würde sich einsam fühlen.«
»Bill? Der würde jubilieren, wenn er endlich ungestört wäre. Er hat ein Geheimfach in der Bibliothek entdeckt.«
Zamorra spürte ein leises Prickeln im Nacken. »Ein Geheimfach?«
»In der Wand, hinter der Vertäfelung«, bestätigte Nicole. »Es enthielt ein altes Buch, einen verloren gegangenen Teil der Familienchronik. Bill behauptet, dass darin unter anderem über den Tod Leonardo de Montagnes berichtet wird. Er ist ganz aus
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