0050 - Der Stein des Satans
Kenner der Materie waren ihre Ausführungen nahezu überwältigend, Professor. Sie sind tiefer in die Geheimnisse des Huichol-Kultes eingedrungen, als ich selbst es auch nur zu träumen wage.«
Zamorra lächelte leicht. »Sie sollten sich darüber freuen, Señor Diaz. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die ich gewinnen konnte, sind zweifellos bedeutsam, aber auf das Erlebnis selbst hätte ich gern verzichtet. Es war ein Abenteuer, in das ich gegen meinen Willen hineingezogen wurde. Wissenschaftliche Experimente dieser lebensgefährlichen Art lehne ich grundsätzlich ab.«
»Womit Sie zweifellos Recht haben – ich bin der gleichen Ansicht. Darf ich Sie noch zu einem Drink in mein Hotel einladen, Professor? Ich möchte Sie mit Señorita Mercedes bekannt machen, einem ungewöhnlich begabten Medium.«
Zamorra stimmte zu.
Der Kongress war zu Ende, sein Referat über den Peyote-Kult der mexikanischen Huichol-Indios hatte den Abschluss gebildet, und Marco Diaz, der Fachmann für aztekische Mythologie, hatte den Vortrag mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Während sie mit dem Taxi durch das abendliche Paris rollten, sprachen sie weiter über das Thema. Zamorra erzählte Einzelheiten, die er in dem Referat nicht erwähnt hatte, da sie selbst vor einem aufgeschlossenen Publikum von Parapsychologen kaum Glauben gefunden hätten. Diaz dagegen lauschte mit großer Aufmerksamkeit, und seine Zwischenfragen bewiesen, dass er keine Sekunde an der Wahrheit von Zamorras Bericht zweifelte.
Der Mexikaner bewohnte eine Suite im »Hilton«. Er hatte einiges über die Fähigkeiten seines Mediums erzählt, jetzt klopfte er an die Verbindungstür. Eine helle, melodische Mädchenstimme forderte ihn zum Eintreten auf. Er öffnete, ließ seinem Gast den Vortritt und übernahm die Vorstellung.
»Mercedes, ich möchte dich mit Professor Zamorra bekannt machen, einem der berühmtesten Parapsychologen der Welt, wie du weißt. – Professor – das ist Maria Mercedes Labianca.«
Eine junge Frau erhob sich aus einem Sessel am Kamin.
Sie konnte nicht viel älter als zwanzig Jahre sein, aber in ihrem blassen, ebenmäßigen Gesicht lag ein Ausdruck ungewöhnlicher Reife. Ein schlichter dunkler Kaminrock und eine weiße Bluse umschlossen die schlanke Figur, das tiefschwarze Haar war im Nacken zu einem Knoten zusammengefasst. Ein freundliches Lächeln lag auf ihren Lippen – aber als sie langsam über den Teppich kam, schien dieses Lächeln förmlich zu gefrieren.
Drei Schritte von Zamorra entfernt blieb sie stehen.
Sie starrte ihn an.
Ihre dunklen Augen wurden weit, seltsam leer – als lausche sie auf eine unhörbare Melodie oder sehe hinter den Dingen der Realität etwas anderes, Fremdes. Unter einem tiefen Atemzug hob sich ihre Brust, und als sie zurückwich, abwehrend beide Arme ausstreckte, flatterten ihre Hände wie gefangene Vögel.
»Nein«, flüsterte sie. »Nein, nein, nein…«
»Mercedes!« Marco Diaz sah erschrocken von einem zum anderen, er begriff genauso wenig wie Zamorra. »Um Himmels willen, Mercedes, was ist…«
Ein Zittern durchlief den Körper des Mädchens.
Sie bäumte sich auf, versteifte sich wie unter einem schrecklichen Schmerz. Ihr schönes, ebenmäßiges Gesicht verzerrte sich – und Zamorra fuhr zusammen, als habe ihn ein Stromstoß getroffen.
Dieses Gesicht!
Das waren nicht nur die Zeichen von Schmerz oder Schrecken – das war mehr, viel mehr. Die Linien veränderten sich, die Haut, die Struktur der Muskeln und Sehnen. Es sah aus, als würden in einem Film zwei Bilder übereinander geblendet. Ein zweites, anderes Antlitz trat hinter dem ersten hervor – und Zamorra hatte das Gefühl, als greife eine kalte Faust nach seinem Herzen.
Er kannte dieses Antlitz.
Für eine endlose Sekunde trug Maria Mercedes Labiancas Gesicht ganz deutlich die Züge von Nicole Duval…
Dann stieß das Medium einen gellenden Schrei aus, und wie eine Marionette, deren Fäden gekappt wurden, sank die junge Frau in sich zusammen…
***
Ein Adler, drei stilisierte Lilien…
Das Wappen der Montagnes.
Nicole biss sich auf die Lippen, als sie die schwere eisenbeschlagene Tür betrachtete. Bannmale waren in das dunkle Holz geschnitzt, Zeichen und Symbole, deren Bedeutung in der heutigen Zeit niemand mehr kannte. Hinter diese Tür hatte Leonardo de Montagne die Feuerdämonen verbannt, mit deren Hilfe er sein Schreckensregime über die Welt aufrichten wollte. Jahrhundertelang hatte das Grauen hier gelauert, war das Wissen um
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