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006 - Der lebende Leichnam

006 - Der lebende Leichnam

Titel: 006 - Der lebende Leichnam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Randa
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Fragen zu beantworten.«
    Sie glaubt an die Komödie, die sie mir vorspielt. Ein starkes Stück. Ich versuche, tiefer in ihre Gedanken einzudringen, aber plötzlich kann ich nicht mehr. Wie ein Schleier ist etwas zwischen ihr und mir. Ich konzentriere mich. Vergeblich. Vorhin ist es viel leichter gegangen. Ich darf mich nicht darum bemühen.
    »Ist der Kommissar weggegangen?«
    »Ja, aber am Spätnachmittag kommt er wieder.«
    Ich esse mein Steak und trinke dazu ein Glas Wein. Mireille hat sich an das Fußende meines Bettes gesetzt, nachdem sie mich aufgerichtet und mir die Kissen in den Rücken geschoben hat.
    Wirklich ein hübsches Mädchen. Genau mein Typ. Leider habe ich sie zu spät kennen gelernt. Zwischen uns beiden kann es keine Beziehung geben.
    Ich bin ein Ganove, und sollte es mir tatsächlich gelingen, den Hals aus der Schlinge zu ziehen, werde ich doch immer ein Ausgestoßener bleiben, am Rand der Gesellschaft leben. Mein jüngstes Abenteuer, die tödliche Gefahr, der ich entronnen bin, müssen mich sentimental gemacht haben. Ich sehe sie an und lächle. Noch nie hatte ich solches Verlangen danach, von einer Frau geküsst zu werden. Alles in mir sehnt sich danach.
    Plötzlich steht sie auf und nähert sich mir. Ihr Gang und ihre Bewegungen wirken irgendwie automatisch. Sie misst mich kühl. Ich lege meine Gabel nieder und sehe sie überrascht an.
    Sie beugt sich über mich und presst ihre Lippen auf meinen Mund.
    Merkwürdiges Mädchen. Sie schiebt den Servierwagen aus dem Zimmer und schließt die Tür hinter sich. Ein merkwürdiges Mädchen und ein merkwürdiger Kuss. Eine spontane Geste, jedoch ohne Leidenschaft.
    Natürlich, wenn sie mich seit einem Jahr pflegt, muss ich ihr ein wenig Vorkommen wie ihr Kind. Trotzdem hatte ihr Kuss nichts Mütterliches an sich gehabt.
    Ich versuche wieder, dieses Schwindelgefühl in mir hervorzurufen, als ob ich irgendwo herunterfiele. Aber diesmal nicht mehr, um mich von mir selbst zu entfernen, sondern um nicht mehr diese Erschöpfung zu verspüren.
    Wenn ich mich in diesem seltsamen Zustand befinde, verfüge ich offenbar über zusätzliche Körperkräfte. Da ich immer noch sitze, gelingt es mir mühelos, mich hinzuknien. Dann wage ich es sogar, aufzustehen.
    Es geht. Ich fühle mich stark. Stark genug zum Beispiel, um einige Zeit herumzugehen. Ich werde es versuchen, wenn Mireille zurückkommt.
    Diesmal möchte ich, dass alles klar ist, und da sie wieder so tut, als bemerke sie nichts, sage ich zu ihr: »Wie finden Sie das?«
    Keine Reaktion. Sie geht auf Zehenspitzen, als schliefe ich, und sie wolle mich nicht aufwecken. Ich werde zornig.
    »Sie brauchen mir nichts vorzumachen!«
    Sie geht an mir vorbei, ohne mich anzusehen. Da verliere ich die Nerven, drehe mich um und brülle: »Mireille!«
    Du lieber Himmel! Ich habe mich umgedreht und sehe mich … Da … Ich sitze noch immer in meine Kissen gelehnt im Bett, den Kopf nach hinten gesunken.
    Ich sehe mich. Meinen Körper. Mein eingefallenes Gesicht mit den unrasierten Wangen. Ich sehe mich. Nicht etwa wie in einem Spiegel, denn ich stehe ja, und mein Double sitzt im Bett.
     

     

Ich sehe mich. Regungslos lehne ich in meinen Kissen, und gleichzeitig stehe ich auf dem Bett und bewege mich. Ich bewege mich, bin aber unsichtbar, denn Mireille sieht mich nicht.
    Mit geübten Bewegungen bringt sie meine Kissen in Ordnung. Ich liege da, als schliefe ich. Mireilles Gesichtsausdruck ist besorgt. Sie legt die Hand auf meine Stirn, fühlt mir kurz den Puls und wendet sich dann hastig zu dem Mikrofon. Sie schaltet es ein und sagt: »Dr. Marlat! Schnell!«
    Während sie auf ihn wartet, betrachtet sie mich verstohlen.
    »Machen Sie sich keine Sorgen, Mireille.«
    Sie hört mich nicht. Ich spreche wie ins Leere.
    Man antwortet ihr: »Was ist los?«
    »Kommen Sie rasch, Doktor! Er ist wieder bewusstlos. Sein Gesichtsausdruck ist genau der gleiche wie während der Behandlung.«
    »Ich komme sofort.«
    Durch den Lautsprecher klingt Marlats Stimme verzerrt. Ich zögere, wieder in meinen Körper zurückzukehren. Ich habe keine Befürchtungen, dass mir dies nicht gelingt. Ich weiß, dass es jederzeit geht, wenn ich es will.
    Ich wundere mich, dass mir diese seltsame Fähigkeit, die ich soeben entdeckt habe, keine Angst einjagt. Sie erscheint mir selbstverständlich. Ja. Merkwürdig. Ich steige vom Bett herunter. Es tut gut, sich ein wenig die Füße zu vertreten.
    Ich gehe umher und spüre genau jeden Schritt, den ich tue.

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