Der tiefe Brunnen: Astrologie und Märchen (German Edition)
Einführung
»Teilen Sie die Vorliebe Ihres Vaters für Astrologie?«, wurde ich im Rahmen der Diplomprüfung gefragt. »Ja«, antwortete ich. Der Professor lächelte mitleidigverständnisvoll und sagte: »Aha. Doch noch nicht abgenabelt.« Das war 1976.
Mein Vater, der als Psychotherapeut und Autor des Klassikers »Grundformen der Angst« anerkannt und geschätzt war, hatte ein Buch über Astrologie geschrieben, und viele seiner Anhänger reagierten verwirrt. Er selbst meinte zuweilen scherzhaft: »Die denken vermutlich, jetzt wird der alte Mann senil.« Dass er schon Jahrzehnte Psychoanalyse und Astrologie gleichzeitig betrieb, dass eine seiner Visionen war, die Astrologie (wohlgemerkt: eine seriöse Astrologie) werde eines Tages Einzug in die Universitäten halten, wussten nur wenige.
Als ich seinerzeit in Kiel begann Psychologie zu studieren, erklärte ein Professor uns zunächst, was Psychologie überhaupt sei. In seinem Vortrag wimmelte es von Wörtern wie »wissenschaftlich, empirisch, messen, Tests« usw. Als ich die Frage stellte, welcher Platz in dieser Psychologie dem Thema Individualität zukomme, bekam ich als Antwort: »Individualität taucht im Test als Fehlervarianz auf, sie ist das, was man nicht messen kann.« Ich kann mich nicht erinnern, dass in irgendeiner der Vorlesungen, die ich damals hörte, einmal das Wort »Seele« gefallen wäre. Eines der für mich wichtigsten Bücher war damals »Der Weg zur Individuation« von Jolande Jacobi, einer Schülerin von C. G. Jung. Allein der Name Jung löste bei meinen Lehrern Augenrollen aus, von Astrologie ganz zu schweigen. Von derlei »unwissenschaftlichen« Dingen möge man sich doch bitte fernhalten, wenn man ein guter Psychologe werden wolle.
Ich wurde nie ein guter Psychologe. Mit dem Diplom in der Tasche kehrte ich nach München zurück und wusste nur, was ich nicht wollte: mich als Psychologe anstellen lassen. Also setzte ich eine Annonce in die Süddeutsche Zeitung: »Organist sucht Tanzkapelle.« Ich war schon immer leidenschaftlicher Musiker gewesen und hatte seit dem Gymnasium in verschiedenen Bands gespielt, meist in Richtung Rock und Blues. Neben der Tanzmusik arbeitete ich auf Honorarbasis in Beratungsstellen, machte eine Ausbildung in Familientherapie und zog mit meinem Zigeunerpferd, das ich auf einer dänischen Insel gekauft hatte, ins Erdinger Moos, nahe bei München. Ich hatte damals nicht vor, als Astrologe zu arbeiten, und mein Vater war viel zu weise, als dass er mir Botschaften in diese Richtung gegeben hätte. Ich weiß allerdings, wie sehr er sich freute, als er in den letzten Jahren seines Lebens die Geburt meiner Astrologiekurse miterlebte.
Diese kamen, wie alle wichtigen Dinge in meinem Leben, »einfach so« zustande. Mitarbeiter(innen) der Familienberatungsstelle, bei der ich gerade arbeitete, wurden neugierig, als ich ihnen hin und wieder von der Astrologie erzählte, und baten mich, ihnen einen Kurs zu geben, da dieses astrologische Wissen doch auch für die Beratungsarbeit hilfreich sein könne. Erst nahm ich diese Idee gar nicht ernst, als aber die Interessenten drängten, sagte ich zu. Ich machte mir ein Konzept für einen Einführungskurs, basierend vor allem auf Skripten meines Vaters und dem Werk des seltsamerweise relativ unbekannten Oskar Adler »Das Testament der Astrologie«. Damals, 1977, begannen in dem Häuschen im Moor die ersten kleinen Astro-Gruppen, und ich erinnere mich noch gut, wie die Teilnehmer sich oft stundenlang durch den dichten Herbstnebel kämpften auf der Suche nach meinem Haus oder an die Sitzungen im Sommer an dem Holztisch neben der Pferdekoppel.
Damals zog auch meine Frau Laura zu mir, und eines Tages sagte ich bei einem Winterspaziergang zu ihr: »Diese Arbeit macht mir so viel Freude. Wenn es doch nur möglich wäre, davon zu leben!« Seitdem bin ich vom Wert einer Vision überzeugt, so verrückt sie auch erscheinen mag. Immer mehr Leute aus dem Münchner Raum, vor allem solche, die beruflich mit Menschen arbeiteten, also Sozialarbeiter, Therapeuten oder Mediziner, riefen an und wollten bei mir Astrologie lernen. In kurzer Zeit entstanden zehn Gruppen, die wöchentlich für zwei Stunden ins Moor kamen, und bald konnte ich wirklich von der Astrologie leben.
Seitdem habe ich fast 25 Jahre lang Ausbildungen in psychologischer Astrologie geleitet. Durch die Begegnungen mit vielen Menschen, durch die Geschichten, die sie mir über sich und ihr Leben erzählt haben, ist die Grundlage
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