Der Metzger bricht das Eis
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Manchmal ist das Leben einfach ganz schön kompliziert, manchmal ist es ganz einfach schön, ja und manchmal, manchmal ist es auch ganz schön einfach.
Da zeigt dann der Himmel auf Erden sein simples Gesicht, kommt auf Gummireifen ums Eck und katapultiert den Menschen zum Gipfelpunkt seiner Glückseligkeit: der erste eigene Wagen.
Er gibt es ja nur ungern zu, der Metzger, aber in seinem Innersten regt sich ein ungewohnter, bisher streng unter Verschluss gehaltener Gefühlszustand: Stolz.
Und wirklich recht ist ihm das nicht, denn der Stolz und ein Unkrautvernichter, die haben nicht selten ähnliche Wirkung, das eine Pflänzchen richten sie auf, die anderen zugrunde. Nur was soll er machen, als Steuermann dieses Gefährts heben sich sein Kinn und seine Brust gleichermaßen wie von selbst, festigt sich sein Gang, breitet sich ein Lächeln aus in seinem Gesicht. Allerdings ist es nicht das Lächeln eines Erstzulassungsbesitzers, denn weder der Wagen noch der Inhalt gehören ihm, lediglich die Verantwortung.
Entsprechend vorsichtig bewältigt er also die Gehsteigkante, hebt behutsam die Vorderräder, lässt sanft die Hinterräder hinuntergleiten, überquert die matschige Straße und erreicht sein Ziel. Zeitgleich erreicht ihn auch ein Anruf.
Und das versteht sich von selbst, seit Willibald Adrian Metzger diese einzigartige Lenkerberechtigung erteilt wurde, ist er ein Paradebeispiel an Abrufbereitschaft.
Aktuelle Kontaktaufnahme seiner Herzdame Danjela Djurkovic: »Bist du schon in Park?«, dröhnt es dem Metzger in der von ihm so geliebten akzentreichen Aussprache ins Ohr.
»Ja, Danjela. Stell dir vor, es ist mir gelungen, diese eine kaum befahrene Straße unfallfrei zu überqueren. Du darfst mir gratulieren!«
»Na, dann gratuliere. Passt du jetzt bitte gut auf, meine Held, auf eisige Weg und auf Schnee, was fällt runter von Äste und Dächer.«
Letzter Anruf seiner Herzdame Danjela Djurkovic, vor circa zehn Minuten: »Hast du gut eingepackt in Overall, Schlafsack und Decke, weil kommt heute nix raus Sonne?«
Vorletzter Anruf seiner Herzdame Danjela Djurkovic, vor circa zwanzig Minuten: »Hat Lillimaus Flasche getrunken leer und schlaft schon. Wenn ja, dann ist Zeit für Spaziergang!«
Selbst der mit noch so großer Abkürzungs-Verunmöglichungs-Absicht ausgewählte Vorname ist vor Verlängerung nicht gefeit. Lillimaus also, immer noch besser als Lillifee, weiß der Metzger mittlerweile, tatsächlich aber: Lilli Matuschek-Pospischill, Tochter der Witwe Trixi Matuschek-Pospischill und des Kommissars Eduard Pospischill, Willibalds verstorbenem Freund. Ein Vater, den die kleine Thronfolgerin zu Lebzeiten niemals wird kennenlernen dürfen, obwohl sie bereits jetzt schon nicht verleugnen kann, wer ihr Erzeuger ist. Zu übereinstimmend sind die Babyfotos in den Alben zweier Generationen. Im Grunde ist bei näherer Betrachtung des Säuglings einzig der Vater zu erkennen, als hätte sich der Kommissar auf diesem Weg zurück ins Leben geschummelt.
Und wenn sie nicht quietscht, dann schläft sie oder trinkt sie oder schaut sie nur. Und wenn sie schaut und der Metzger kommt auf sie zu, dann lächelt sie. Und weil sie das tut und weil der Metzger so große schaufelartige Hände hat, in die ihr Kopf so schön hineinpasst, und so starke Arme, in die ihr Körper so schön hineinpasst, und so eine Engelsgeduld, in die ihre Neugierde so schön hineinpasst, weil das eben alles so schön ist und einfach so passt, hat Lilli Matuschek-Pospischill die Erlaubnis, sich gelegentlich nur von Willibald Adrian Metzger durchs Leben wiegen oder tragen oder schieben zu lassen. Zu diesem Anlass kommt Mama Trixi Matuschek-Pospischill mindestens einmal pro Woche zeitig morgens in der Werkstatt vorbei, verlautbart: »In spätestens zweieinhalb Stunden bin ich wieder da. Ich dank dir so!«, und lädt daraufhin während der Pilates-Stunde im Fitnesscenter ums Eck ihre Batterien auf, was bedeutet: Sie braucht sich nicht sorgen, der Metzger darf sorgen, und die Djurkovic macht sich Sorgen. Abermals läutet es: »Hast du geschaut in Windel und wenn notwendig gewechselt, weil is nix gut, kalte Wetter und nasse Hose?«
»Melde gehorsam: Vor dem Füttern in die Windel geschaut, Windel gewechselt, wieder angezogen. Alles gut.«
Und genau das stimmt nicht. Denn seit Lilli wohlbehalten auf dieser Erde angekommen ist, fühlt es sich für Danjela Djurkovic schlichtweg nach Einzelhaft an, wenn sie dank ihrer Festanstellung als Hausmeisterin einer
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