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006 - Die Schuld des Anderen

006 - Die Schuld des Anderen

Titel: 006 - Die Schuld des Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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angewiesen, eine Stelle anzunehmen. Es war mehr der Wunsch nach Unabhängigkeit, der sie trieb, einen Beruf auszuüben.
    Für die Tätigkeit ihres seltsamen Onkels interessierte sich Verity sehr. Stundenlang konnte sie neben ihm sitzen und zuschauen, wie er mit sicherer Hand feine, schöngeschwungene Linien in Stahlplatten grub. Tom Maple wurde von einer Gravieranstalt, die Banknoten herstellte, sehr gut bezahlt. Seine Auftraggeber wußten seine Arbeit zu schätzen und schienen ihn so notwendig zu brauchen, daß sie seine Sonderlichkeiten übersahen.
    An dem Abend nach Golds Besuch saß Verity noch im Wohnzimmer am Kamin und las in einem Buch. Da hörte sie draußen auf dem Gang den leichten Schritt ihres Onkels. Er ging an der Tür vorbei, blieb dann zögernd stehen, kehrte um und kam herein.
    Sie sah ihn an.
    »Kann ich etwas für dich tun, Onkel?«
    Sein Gesicht war noch bleicher als sonst. Die Wangen schienen ihr noch eingefallener, die Augen von noch dunkleren Rändern umschattet. Er schaute sie eine Weile wortlos an, dann nahm er einen Stuhl und setzte sich ihr gegenüber.
    »Verity«, begann er schließlich, »ich habe über dich nachgedacht und mir überlegt, ob es nicht besser wäre, wenn ich dir etwas über mich erzählte.« Er seufzte tief und sah ihr fest in die Augen. »Mein Leben war sehr merkwürdig - du weißt nicht so richtig Bescheid über meine Vergangenheit, wie?«
    Sie schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Ich weiß nur, daß du ein guter Onkel bist!«
    Er machte eine abwehrende Handbewegung.
    »Du solltest nicht allzugut von mir denken. Ich bin nicht ganz der, für den du mich hältst.« Er sah sie fast ein wenig traurig an. »Wenn mir etwas zustoßen sollte, möchte ich, daß du dich an einen bestimmten Herrn hier in London wendest und…« Ohne den Satz zu beenden, holte er seine Brieftasche hervor. »Und noch etwas - ich habe dich neulich um deine Unterschrift gebeten, weil ich dir ein Konto bei der Londoner Nordwestbank eröffnet habe. Es ist kein großes Vermögen -«, sagte er schnell, als er ihre Freude bemerkte, »aber es wird dich vor Not schützen, wenn mir etwas passieren sollte.«
    »Was sollte dir denn passieren?« fragte sie bestürzt.
    Er zuckte die Schultern, »Das kann man nie wissen«, erwiderte er melancholisch, zog ein Scheckbuch aus der Tasche und überreichte es ihr. »Hebe es gut auf. Übrigens - gelegentlich wirst du ja auch ans Heiraten denken.«
    Lachend schüttelte sie den Kopf.
    »Nun ja, die meisten Mädchen wollen zuerst nichts davon hören -«, meinte er, wieder vergnügt, »aber dann heiraten sie doch alle!«
    Er nickte ihr zu und wollte aus dem Zimmer gehen, da fiel ihr seine Äußerung von vorhin wieder ein, die er mittendrin abgebrochen hatte.
    »Onkel, du hast mir den Namen des Mannes nicht genannt, an den ich mich wenden sollte.«
    Nur zögernd antwortete er:
    »Ich meine - Comstock Bell. Später einmal werde ich dir mehr von ihm erzählen.«
    Gleich darauf ging er. Sie sah ihm beunruhigt nach.
    Was mochte er mit den Andeutungen über sein früheres Leben gemeint haben? Sie war klug genug, um zu wissen, daß seine häufigen Namensänderungen eine ernstere Bedeutung gehabt haben mußten. Fast wünschte sie jetzt, daß sie ihm zugeredet hätte, offen zu sprechen.
    Anderntags um sechs Uhr stellte sie sich bei Mr. Cornelius Helder vor. Es kam ihr ein wenig seltsam vor, daß er sie in seine Privatwohnung in der Curzon Street gebeten hatte.
    Helder bewohnte mehrere Räume im Haus Nr. 406.
    Verity Maple wurde sofort ins Wohnzimmer geführt. Als sie eintrat, saß Helder vor einem großen Schreibtisch, der mit Druckproben und Zeitungen bedeckt war.
    Er erhob sich und gab ihr die Hand.
    »Nehmen Sie bitte Platz, Miss Maple. Es tut mir leid, daß ich Sie hierherbitten mußte, aber ich konnte Sie aus Zeitgründen nicht in meinem Büro empfangen.« Er sprach kurz und geschäftsmäßig, so daß die anfänglichen Bedenken des Mädchens rasch verflogen. »Ich habe eine interessante Arbeit für Sie. Können Sie Französisch?«
    »Ja.«
    »Ich bin nämlich Mitherausgeber einer kleinen Zeitschrift, für die Sie sich in Zukunft interessieren sollten.«
    Die Gehaltsfrage wurde besprochen, und Verity wunderte sich, mit welcher Bereitwilligkeit Mr. Helder auf ihre Wünsche einging. Sobald der geschäftliche Teil der Unterhaltung beendet war, erhob er sich.
    »Bis morgen früh also«, sagte er und begleitete sie zur Tür.
    Verity Maple war sich nach dieser ersten Unterredung mit ihrem

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