01 - Botschaft aus Stein
Passwörter einsetzte, gab es einen einzigen sicheren Ort dafür: seinen Kopf.
Eine halbe Stunde später hatte sich Tom alle Fotos aus Hiva Oa vom Server seines Telefonanbieters auf den Rechner heruntergeladen. Und kurz darauf auch die Bilder aus der verborgenen Tempelkammer. Es hatte sich wieder einmal bewährt, wichtige Fotos vom Telefon umgehend im Internet zwischenzulagern. Diese Bilder waren zweifellos so etwas wie ein Vermächtnis.
Tom interessierte in diesem Moment nicht, ob Seymor Branson eine weiße Weste gehabt hatte. Er glaubte ohnehin an eine Beteiligung des Professors an ‒ vorsichtig ausgedrückt ‒ nicht ganz korrekten Geschäften. Aber was immer vorausgegangen sein mochte, Branson musste plötzlich eine große Bedrohung darin gesehen und seine Meinung geändert haben. Anders war die Zerstörung der Kammer nicht zu erklären.
Die vermeintliche Karte hatte damit zu tun.
Nachdenklich betrachtete Ericson die Fotos. Was da vor langer Zeit in den Wandputz eingekratzt worden war, mochte unterschiedliche Bedeutungen haben, daran zweifelte er nicht. Leider verriet ihm die skizzierte Landkarte bislang herzlich wenig.
Vielleicht später, wenn er innerlich wieder mehr Ruhe gefunden haben würde. Im Moment hatte Tom das Gefühl, dass er sich selbst blockierte.
Da durchfuhr es ihn siedend heiß.
Vier Bilder fehlten!
Er holte sich alle auf den Schirm, überflog sie der Reihe nach. Die vier Aufnahmen, die er von den Wandbildern über den Feuergott geschossen hatte, waren nicht dabei.
Hatte er sie versehentlich gelöscht?
Unwahrscheinlich. Aber die Verbindung war in der gemauerten Grabkammer nicht die beste gewesen; möglich, dass diese Daten fehlerhaft übertragen worden waren.
Tom stieß eine Verwünschung aus, aber daran ließ sich nun nichts mehr ändern. Er lehnte sich im Sessel zurück, verschränkte die Hände im Nacken und versuchte das Geschehen der letzten Tage zu rekapitulieren.
Dabei musste ihn die Müdigkeit übermannt haben, denn er wachte erst gegen fünf Uhr nachmittags wieder auf. Nichts, aber auch gar nichts hatte sich in seiner Gedankenwelt verändert. Er würde die Arbeit an der Karte verschieben.
Trotzdem ging er noch einmal ins Internet. Über Professor Seymor Branson, den weltweit anerkannten Maya-Spezialisten, war sehr viel zu finden. Natürlich die üblichen Lobeshymnen über seine Forschungsergebnisse und seine exzellente Vortragsreihen.
Aber vielleicht hätte sich Tom schon in der Südsee über Bransons Probleme schlaumachen sollen. Anfang des Jahres war das Bild nämlich gekippt. Die Fachwelt hatte Branson fallenlassen, der Spezialist wurde mit einem Mal als Spinner und Esoteriker gebrandmarkt. Branson, früher eher spöttisch eingestellt, was die angeblichen Prophezeiungen des Maya-Kalenders anbelangte, hatte eine jähe Kehrtwende vollzogen. Eigentlich unerklärbar , schrieben einige Kommentatoren. Andere sprachen vom Sieg der Geltungssucht über die Wissenschaft .
Seit dem Frühjahr maß Branson dem Maya-Kalender tatsächlich eine bislang von ihm verleugnete Bedeutung als »Anzeiger des bevorstehenden Weltuntergangs« bei. Und obwohl die Zeitrechnung der Maya erst am 21. Dezember 2012 enden sollte, sprach Seymor Branson davon, dass dies schon im Februar des Jahres der Fall sein würde.
Fragen konnte ihn niemand mehr nach den Hintergründen dieser Aussage.
Wenn ein Mann wie Professor Branson seine Meinung so offensichtlich revidierte, dann steckte entweder sehr viel Geld dahinter ‒ oder eine Wahrheit, so unwahrscheinlich sie auch klingen mochte.
Tom schaltete das Netbook ab.
Zwanzig Minuten später verließ er das Hotel.
***
Zum »Pancho's« in der Calle 59 waren es zu Fuß keine fünfzehn Minuten. Das Lokal war gut besucht, aber keineswegs überfüllt, wie Tom es auch schon oft gesehen hatte. Es roch nach Maya-Kaffee, und die blau getünchten Wände des Barraums verbreiteten die übliche Behaglichkeit.
Tom schaute sich um. Der Durchgang zum Garten, drei Stufen höher gelegen als das Lokal selbst, war offen, aber es gab dort keinen freien Tisch mehr. Lediglich direkt an der Theke waren noch Hocker frei.
»Bei Xipe Totec!«, erklang ein Ruf aus der angrenzenden Küche. »Wenn das nicht Tom ist, der alte Grabräuber…!«
Aus dem Augenwinkel sah Ericson, dass ihn etliche Gäste im Garten verwundert musterten. Er grinste zurück, und das tat er auch noch, als Antonio aus der Küche kam und ihn an sich zog. Antonio Carlos, der Kellner, war mehr als einen Kopf
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