01 - Botschaft aus Stein
Schweinegestank.
Die kalte Dusche hatte auch ein wenig von seinen düsteren Gedanken abgewaschen. Tom zog die Vorhänge im Zimmer auf, öffnete das Fenster und kleidete sich erst einmal frisch ein. Das verschmutzte Zeug wanderte in eine große Plastiktüte und mit dieser in die Reisetasche. Wenn er in Mérida ein Hotel bezog, konnte er alles in die Wäscherei geben.
Ein blecherner Klingelton schreckte ihn auf. Er schaute sich um und entdeckte erst nach dem dritten Klingeln ein altes schwarzes Tastentelefon. Es stand auf dem Boden neben dem Schreibschrank.
»Si«, meldete er sich nur.
Im ersten Moment hörte er nichts. Dann räusperte sich jemand am anderen Ende der Leitung. »Señor Ericson«, sagte eine leise Stimme.
Niemand hier kannte seinen Namen. Er hatte sich nicht angemeldet, und der Einzige, der überhaupt von seiner Anwesenheit gewusst hatte, war der Professor gewesen.
»Señor Ericson, ich meine es gut mit Ihnen«, fuhr die akzentlose Stimme fort, »deshalb sollten Sie Muna sofort verlassen. Die Polizei wird gleich da sein. Sie wollen doch nicht wegen des Mordes an Ihrem Kollegen inhaftiert werden? Die Gefängnisse in Mexiko sind nicht sehr bequem.«
»Wer sind…?«
Die Leitung war tot, der Anrufer hatte aufgelegt.
Für einen Moment starrte Tom unschlüssig an die Wand. Wer konnte darüber informiert sein, dass Branson ihn in diesem Haus untergebracht hatte? Und vor allem: Wer hatte ein Interesse daran, ihn zu warnen?
Motorenlärm drang von der Straße zu ihm herauf. Tom wurde erst bewusst darauf aufmerksam, als er Türen schlagen hörte. Gleich darauf erklang die aufgeregte Stimme der Wirtin, die alle Schutzheiligen anrief.
Mit einem schnellen Griff löschte Tom das Licht im Zimmer und raffte seine wenigen Habseligkeiten zusammen, dann trat er ans offene Fenster.
Die Nacht war mit Riesenschritten heraufgezogen und der Hinterhof lag nicht im Bereich der spärlichen Straßenlampen. Tom fand Halt auf einem Sims unter dem Fenster und schob sich langsam an der Wand entlang. Als er gerade noch hinlangen konnte, zog er den offenen Fensterflügel von außen zu; schließlich wollte er nicht gleich jeden mit der Nase darauf stoßen, welchen Weg er genommen hatte.
Mehrere Stimmen unterhielten sich vor dem Haus. Tereza sträubte sich dagegen, dass die Polizei ihr Etablissement in Unordnung brachte. Die Hinhaltetaktik war für Tom offensichtlich, trotzdem glaubte er nicht, dass die Warnung mit ihr zu tun hatte. Möglicherweise war die Frau an problematische Gäste gewöhnt.
Tom schob seine Taschen auf das Flachdach des Nachbarhauses. Ein wenig mühsam hangelte er sich hinterher, denn die Dachrinne machte ihm zu schaffen. Außerdem durfte er sich nicht durch verräterische Geräusche bemerkbar machen.
An der anderen Hausseite stieg der Widerschein eines Blinklichts empor. Tom huschte in geduckter Haltung weiter. Nur eine kleine Mauer trennte das Dach von dem des etwas tiefer liegenden Nachbarhauses. Tom blickte zurück, bevor er sich nach unten schwang. Noch folgte ihm niemand.
Dann eine Lücke in der Häuserzeile. Tom bemerkte, dass er auf einer halb verfallenen Reparaturwerkstatt stand. Unter ihm reihten sich einige Schrottfahrzeuge, ein Berg von Ersatzteilen lag herum. Hühner scharrten auf dem Boden. Er legte sich auf den Bauch und ließ seine Taschen nach unten fallen. Gackernd stob das Federvieh auseinander.
Sekundenlang lauschte Ericson in die Nacht. Außer einigen Autos, die auf der Straße vorbeifuhren, und fernen Stimmen war nichts zu hören.
Scharfkantiges Blech bildete den Dachabschluss. Vorsichtig ließ Tom sich nach unten gleiten; als das Blech schon in seine Unterarme einschnitt, ließ er sich fallen. Er kam unglücklich auf, taumelte zurück und riss einige Schrottteile mit sich. Wenige Häuser weiter kläffte ein Hund.
Tom klopfte sich den Schmutz von der Kleidung, nahm seine Taschen und trat auf den Gehsteig. Einige Passanten schauten ihm nach, als er hundert Meter weiter in eine Seitenstraße abbog.
Er fragte sich, ob die Polizei wirklich von ihm wusste. Möglicherweise waren die Beamten nur gekommen, weil allgemein bekannt war, wo Bransons Leute für gewöhnlich abstiegen. Dann musste er zumindest nicht fürchten, dass eine Fahndung nach ihm ausgeschrieben wurde.
Ein wenig abseits der Hauptstraße fand Ericson einen dunklen Winkel, der ihm als Quartier für die Nacht dienen konnte.
Er schlief nicht gut, wurde irgendwann von einer Polizeisirene aufgeschreckt, aber dann herrschte
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