01 - Botschaft aus Stein
kleiner als Ericson, und die breite Krempe des zu seiner Arbeitskleidung gehörenden Hutes stauchte sich unter Toms Kinn.
Im nächsten Moment umfasste Antonio seine Oberarme und schob ihn gerade so weit von sich, dass er dem Archäologen ins Gesicht schauen konnte. »Du siehst blendend aus. ‒ Maya-Kaffee?«
»Natürlich.«
Antonio wandte sich seinem Kollegen hinter dem Tresen zu. »Zwei«, bestellte er. Der andere lachte schallend, er hatte die Gläser schon in der Hand.
Der Kellner schwang sich neben Ericson auf den freien Hocker. Mit einer knappen Handbewegung rückte er den Patronengurt zurecht, den er über der Schulter trug.
»Viva la Revolución«, sagte Tom, nicht nur wegen des Patronengurts, in den Carlos die Korken von Weinflaschen steckte, sondern auch wegen seines Aussehens. Er verglich den Freund gern mit dem Revolutionsführer Emiliano Zapata. Nur dessen kräftiger Oberlippenbart war bei Antonio etwas kleiner ausgefallen.
»Immer wenn du kommst, Tom, hast du etwas auf dem Herzen.«
»Immer?«
»Du kommst ja leider nicht öfter.« Der Kellner lachte leise. »Also heraus mit der Sprache. Noch habe ich Zeit. Aber es wird bald regnen.«
Tom warf einen raschen Blick in die Höhe. Von seinem Platz aus konnte er einen schmalen Ausschnitt des Himmels über dem Garten sehen. Dort ballten sich tatsächlich schwarze Wolken.
»Du kennst Seymor Branson, den Archäologen?«
»Si. Er war hier einige Male zu Gast.«
»Weißt du, mit wem er für gewöhnlich verkehrt?«
Der Barkeeper bereitete den Kaffee zu. Mit der Geschicklichkeit eines Jongleurs wirbelte er das Kännchen hoch und ließ die brennende Flüssigkeit langsam ins Glas laufen ‒ ein Wasserfall aus Feuer.
»Keine Señora!«, sagte Antonio bestimmt. »Der Professor geht ganz in seiner Arbeit auf.«
Tom verzog die Mundwinkel. »Ich hätte wissen müssen, dass du das sagen würdest.«
Der Kaffee wechselte von der rechten in die linke Hand, und wieder floss das Feuer ins Glas. Es war merklich dunkler geworden, der Anblick in der Bar hatte etwas Erhebendes.
»Ein Mann? Ja, ich habe Branson einige Male mit einem Mexikaner gesehen.«
»Weißt du, worüber sie gesprochen haben?«
Antonio schüttelte den Kopf und sah ihn mit einem »Ich-belausche-doch-keine-Gäste«-Blick an. »Da musst du ihn selbst fragen. Cenobio Cordova. Ich suche dir seine Adresse heraus. Aber er wohnt nicht gleich um die Ecke.«
»Mérida ist keine Weltstadt, oder?«
»Das sagst du «, stellte der Kellner fest.
Die beiden Kaffees kamen. Tom griff sofort nach seinem Glas. Mit einer Hand fächelte er sich das Aroma zu. Dann trank er vorsichtig. Der Maya-Kaffee war heiß.
»Jedes Mal besser«, stellte er fest.
Antonio grinste breit und nestelte an seinem Patronengurt. »Das heißt, früher hat es dir nicht geschmeckt?«
Ein dröhnender Donnerschlag erschütterte die Luft. Nur Augenblicke später öffnete der Himmel seine Schleusen. Es goss in Strömen und die Gäste aus dem Garten flüchteten in die Bar. Auf einmal wurde es eng, sehr eng. Antonio half, die Schiebewand zu schließen, aber das Wasser ergoss sich bereits über die Stufen nach innen.
Tom trank sein Glas leer und vergriff sich danach an dem von Antonio. »Ich wollte nicht, dass du kalten Kaffee trinken musst«, sagte er schnell, als der Kellner ihn im Vorübereilen anstieß.
»Ihr Gringos seid alle gleich«, schimpfte Antonio. »Für alles habt ihr eine Ausrede.«
Ein ziemlich heftiges Gewitter ging über der Stadt nieder, aber es dauerte keine halbe Stunde. Als endlich der Durchgang zum Garten wieder geöffnet wurde, konnte die stickige Schwüle abziehen.
Tom zahlte die beiden Kaffees und legte ein gutes Trinkgeld dazu. Antonio stand Sekunden später neben ihm. Er zog einen zusammengerollten Zettel aus einer der Schlaufen seines Patronengurts.
»Wann kommst du wieder, Tom?«
»Morgen vielleicht. Ich weiß nicht.«
»Du hast doch Probleme, das sehe ich dir an. Nach zwei Maya-Kaffee kannst du das nicht verheimlichen.«
***
Tom Ericson nahm sich ein Taxi, das ihn in den Nordwesten der Stadt brachte. Einen halben Kilometer ging er noch zu Fuß und sah sich die Umgebung an. Es war vielleicht nicht die teuerste Wohngegend, aber Cordova verfügte zumindest über ein ansehnliches finanzielles Polster.
Ein schönes Haus und ein großer Garten, aber niemand öffnete auf Ericsons Klingeln. Allerdings sah Tom kein Licht. In den meisten Nachbarhäusern brannten Lampen, denn nach dem Gewitter lastete immer noch
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