01 - Botschaft aus Stein
Zwielicht über der Stadt, das ohnehin bald in Nachtschwärze übergehen würde.
Tom sah sich den Garten von der Straße aus an. Einige Steinfiguren, die Maya-Götter darstellten, standen gut platziert. Ob es Repliken waren, konnte er nicht zuverlässig abschätzen.
Auf dem Nachbargrundstück hantierte jemand. Der Gewitterregen schien dort frisch aufgeschüttetes Erdreich weggespült zu haben.
Tom fragte den Mann nach Cordova. Unverhohlene Skepsis schlug ihm entgegen. Erst als er sich als Archäologe vorstellte, wurde der andere gesprächiger. Cordova sei ein erfolgreicher Geschäftsmann, der vor allem Touristen über die Geschichte des Landes aufkläre, berichtete der Nachbar. Nebenbei sei er auch im Kunsthandel engagiert.
Mit dem Namen Branson konnte der Mann nichts anfangen. Als Tom den Professor jedoch beschrieb, das unordentliche graue Haar, den Oberlippen- und den spitzen Kinnbart, Brille und Bauchansatz, erinnerte sich der Nachbar, ihn schon ein- oder zweimal gesehen zu haben.
»Glauben Sie, dass ich Señor Cordova morgen erreichen kann?«
»Versuchen Sie es. Er ist einen Tag da und dann wieder eine Woche weg. Genau weiß das niemand im Voraus.«
Tom bedankte sich für die Auskunft und ging.
Das Taxi hatte er weggeschickt. Andererseits konnte er ihm nur guttun, drei oder vier Kilometer zu gehen. Es regnete nicht mehr, nur noch aufsteigender Dunst hing in der Luft. Und in Mérida hätte sich selbst ein Ortsunkundiger nicht verlaufen. Die Straßen gingen in Nord-Süd-Richtung und von Ost nach West und waren fortlaufend nummeriert. Das »El Castellano« lag an der Ecke der Calle 57 und Avenida 64.
Nach einer Weile hörte Ericson Schritte hinter sich. Sie schlossen rasch zu ihm auf. Als er sich umwandte, sah er sich fünf verwegen aussehenden Gestalten gegenüber.
Sie griffen ihn sofort an.
Tom schlug einen von ihnen mit einem gezielten Haken nieder, aber schon hingen zwei andere wie Kletten an ihm und zerrten seine Arme nach hinten. Ein anderer rammte ihm das Knie in den Magen. Der letzte Verbliebene griff gleichzeitig in Toms Haare und riss seinen Kopf in den Nacken zurück. Der Angreifer rief etwas, das Tom nicht verstand, doch er wäre ohnehin unfähig gewesen, zu antworten. Mehr als ein Röcheln brachte er nicht hervor.
Jemand drückte ihm ein Messer an den Hals und kräftige Hände tasteten ihn ab. Die Kerle suchten nach Geld oder Waffen, er wusste es nicht. Ein neuer Schlag trieb ihm die Luft aus den Lungen und ließ ihn halb in sich zusammensacken.
Ein heiseres Lachen. Einer der Angreifer hatte Toms Papiere gefunden. Den Ausweis warf er achtlos beiseite, die Kreditkarte hielt er triumphierend hoch. »Die Geheimzahl fürs Bargeld! Sag!«
Tom konnte immer noch nicht reden und die Klinge drückte sich fester an seinen Hals.
In diesem Moment hörte er einen gurgelnden Aufschrei neben sich. Das Messer wurde davongewirbelt, die Hand, die sich in seinem Haar verkrallt hatte, ließ plötzlich los. Tom kam frei und kämpfte sekundenlang um sein Gleichgewicht.
Neben ihm ging einer der Angreifer zu Boden, raffte sich aber sofort wieder auf. Wütend starrte er Tom an, dann hetzte er davon.
Nur noch drei Angreifer waren übrig. Aber nicht einmal gemeinsam kamen sie gegen den Mann an, der so überraschend eingegriffen hatte. Mit halb verschwommenem Blick sah Tom, wie blitzschnell sein Helfer sich bewegte und mit Händen und Beinen zuschlug.
Ein Indio.
Es war dunkel, die Beleuchtung alles andere als gut, und die Straße glänzte teilweise noch vor Nässe. Trotzdem glaubte Ericson den Mann wiederzuerkennen. Zweimal schon hatte er ihn in seiner Nähe gesehen: auf dem Flughafen von Cancún und danach in Muna. Das konnte kein Zufall sein.
»Wer… sind Sie?«, brachte er gepresst hervor. »Wollen Sie etwas von mir, dann…«
Er redete ins Leere. Der Mann war ebenso schnell verschwunden wie die Angreifer, die er vertrieben hatte.
»Immerhin… danke für die Hilfe!«, rief Tom. Niemand antwortete.
Sein Pass lag im Rinnstein, ein paar Schritte weiter die Kreditkarte. Erst hob er den Pass auf und wischte ihn an der Hose ab, dann bückte er sich nach der Kreditkarte. Eine Handbreit daneben ringelte sich eine helle Schnur. Als Ericson genauer hinschaute, sah er, dass ein Ring daran hing. Er hob beides auf. Wahrscheinlich hatte einer der Angreifer die fein geflochtene Schnur mit dem Schmuckstück verloren. Vielleicht auch sein Retter.
Der Ring wirkte klobig. Tom schloss die Hand um den Fund und ließ ihn in
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