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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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stumpfte meine Gedanken so weit ab, daß sie nicht zu den Himbeersträuchern in Booton zurückschweiften, in mir das Bild von Jo und meiner Mutter beim Abpflücken eines Stachelbeerstrauchs heraufbeschworen oder das von Mrs. Riseborough, die mit kräftigen roten Händen Teig ausrollt, Birnen einkocht oder Nierenfett in schmale Streifenschneidet. Bilder einer Kindheit, die gleichzeitig Abscheu wie eine verzehrende Sehnsucht in mir weckten, genau wie das zerknitterte Foto des verhaßten Familiengefängnisses, das ich nach wie vor mit mir herumschleppte und auf dessen Rückseite das entrückte, ausgeschnittene Oval von Matthews Gesicht aufgeklebt war. Ohne die betäubende Whiskeywand zwischen meinem Kopf und meinem Herzen wären alle diese Bilder mit so rasenden Wogen des Schmerzes über mich hereingebrochen, daß es mich und die ganze betonierte Schändlichkeit um mich herum auseinandergerissen hätte.
    Am folgenden Tag machte sich der Achtzehnjährige mit seinem Kater, seinem Koffer und seinen Kreditkarten auf nach Reading. Das Festival selbst war viel zu groß und einschüchternd, um sich dort umzusehen, aber es ging das Gerücht, daß noch etwas auf Salisbury Plain passieren würde, nämlich ein Auftritt von Steeleye Span im Schatten von Stonehenge. Wenn Matthew irgendwo zu finden war, dann bei Steeleye Span und Maddy Prior.
    Eindeutige Zeugnisse belegen, daß ich erst geschlagene zwei Wochen später auf dem Weg nach Salisbury in Swindon Station machte. In meiner Erinnerung liegen dazwischen lediglich ein oder zwei Tage, was ich mir nur dadurch erklären kann, daß ich die beiden Wochen in einem einzigen anhaltenden Whiskey-Rausch verbrachte.
    In Swindon gab es ein pompös aufgemachtes Hotel, das, glaube ich, The Wiltshire oder The Wiltshire County hieß. Auf seinem Schirmdach prangten vier Sterne, was meinen Ansprüchen gerade zu genügen schien.
    An jenem sonnigen Morgen des neunten September nahm ich mir dort ein Zimmer, mittlerweile leidlich routiniert in diesen Dingen.
    »Edward Bridges«, sagte ich zu der Dame an der Rezeption, »könnte ich ein Zimmer für eine Nacht bekommen?« Gehen wir davon aus, daß der Mann, dessen Access-Card ich gestohlen hatte, Edward Bridges hieß: Der tatsächlicheEdward Bridges war bloß ein unschuldiges Opfer, dessen Name nicht in diese schmutzige Geschichte hineingezogen werden soll.
    Es folgte die übliche Prozedur: die Eintragung ins Gästeregister, das Einlegen meines flexiblen Freundes in den Inprinter und die von einem freundlichen Lächeln begleitete Übergabe der Schlüssel.
    »Hübsch«, sagte ich zum Portier, der den Koffer ins Zimmer trug, während ich die Räumlichkeiten begutachtete. »Ausgesprochen hübsch.« Ich drückte ihm fünfzig Pence in die Hand und streckte mich auf dem Bett aus.
    Morgen also Stonehenge. Irgendwie wußte ich, der Gott der Liebe wäre so launisch und unverfroren, mich geradewegs mit Matthew zusammenzuführen. Einem Matthew, der zweifellos Koteletten hatte und vor Muskeln strotzte, aber eben doch Matthew. Vermutlich würden wir uns zukiffen, und ich würde ihm lachend im geeigneten Moment eröffnen, wie sehr ich mich in den vergangenen vier Jahren nach ihm verzehrt hatte.
    »Verrückt, Mann, was?« würde ich lässig hinzusetzen, und wir würden Witze reißen und uns über die ganze Geschichte halb totlachen.
    Ja, genau so würde ich die Sache morgen arrangieren.
    Mit leisem Unmut blickte ich auf meine übereinandergeschlagenen Füße.
    Diese Schuhe. Also wirklich! Der einzige kleine Luxus, den ich mir trotz des erbeuteten Geldsegens und der gestohlenen Kreditkarten bislang versagt hatte, war ein anständiges Paar Schuhe. Bei Schuhgröße achtundvierzig war das ohnehin nicht ganz einfach. Vielleicht konnte Swindon weiterhelfen, wo andere passen mußten. Man konnte nie wissen. Ich erhob mich vom Bett, strich meinen schicken blauen Anzug glatt, zwinkerte mir im Spiegel zu und trat vor die Tür.
    »Bitte sehr, die Dame«, sagte ich mit leutselig blödem Ton, als ich meinen Schlüssel an der Rezeption hinterlegte.
    Und man mag es kaum glauben, gleich nebenan ist ein erstklassiges Schuhgeschäft, in dem ich, als hätte man auf meinen Besuch gewartet, ein Paar tadellos sitzende schwarze Halbschuhe entdecke. Ausgezeichnet. Allererste Sahne.
    Ich spazierte mit den Schuhen vor dem Spiegel auf und ab.
    »Wissen Sie«, sagte ich, während ich meine Access-Card hinüberreichte und einen wehmütigen Blick auf das ausgetretene Paar am Boden warf, das

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