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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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sie das Recht haben, auf ihr Anderssein stolz zu sein.
    Ich hingegen war auf diesen Beistand angewiesen. Für mich waren diese Männer lebenswichtig, und ich weiß nicht, wo ich ohne sie gelandet wäre.
    Die Schwulen sind natürlich nicht das einzige Krebsgeschwür der britischen Gesellschaft. Es gibt da schließlich noch die Juden.
    Als Junge habe ich mich nie groß um meine jüdische Herkunft gekümmert. Der eher kuriose Gegensatz zwischen der im Westen üblichen Sitte der väterlichen Namensgebung und dem im Judentum geltenden Primat der mütterlichen Abstammung bedeutete für mich, daß ich kraft meines Familiennamens als Heide durchging. Die väterliche Namenslinie der Frys entstammte einem altehrwürdigen britischen Geschlecht, das sich bis zu den Anfängen der Quäker zurückverfolgen ließ. John Fry, einer meiner Urahnen, war Mitglied des Parlaments und unterzeichnete den Hinrichtungsbefehl für König Charles I. Als feurige Antwort auf unsere häretische Verwandtschaft (der Schokolade fabrizierende Sausack aus Bristol), die behauptete, aus dem Dorf Fry in der Normandie abzustammen, schrieb mein Großonkel George ein Buch mit dem Titel Die angelsächsischen Wurzeln der Familie Fry . Das leider viel zu wenig bekannte Werk von Onkel George beginnt mit den Worten:
    Im Gegensatz zu so vielen vorgeblich britischen Familien kamen die Frys nicht mit William dem Eroberer nach England – sie waren bereits dort, um ihn bei seiner Ankunft gebührend zu empfangen.
    Die Tatsache, daß ich von Geburts wegen Jude bin, jedoch einen durch und durch englischen Familiennamen trage, hatte für die Wahrnehmung meiner Person ganz entscheidendeFolgen. Für die Engländer war ich Engländer, mit leichten exotischen Einsprengseln, für die Juden war ich Jude, mit einem leicht zu verzeihenden Makel. Ich genoß sozusagen die Vorteile beider Welten. In Britannien leben viele Kinder mit jüdischen Vätern und nichtjüdischen Müttern, die folglich von den Juden nicht als Juden anerkannt werden, obwohl sie Familiennamen wie Goldberg, Cohen oder Feinstein tragen, während sie andererseits von den Briten, wie Jonathan Miller es ausgedrückt hat, wie der letzte Dreck behandelt werden. Nicht zu vergessen ist auch, daß ich, soweit ich das beurteilen kann, nicht gerade besonders jüdisch aussehe, was ebenfalls einen großen Unterschied ausmacht.
    Ich kann mich nur noch an drei jüdische Mitschüler in Uppingham erinnern, die Adley, Heilbronn und Green hießen. Ihnen bedeutete ihr Jüdischsein vermutlich weit mehr als mir. Ich benutzte mein gemischtes Blut als zusätzlichen exotischen Touch, mit dem ich angeben konnte, zumal es in Uppingham keinen spürbaren Antisemitismus gab – jedenfalls nicht mehr, als der weitverbreitete gedankenlose Gebrauch der Wörter »Jude« und »jüdisch« für jeden, der sich in den Augen der anderen als Geizkragen und Halsabschneider hervortut.
    Meine Einstellung zum englischen Antisemitismus ist so gemischt wie mein Blut. Bis auf meinen Großvater wanderten alle aus der Familie meiner Mutter, die den Holocaust überlebten, nach Amerika oder Israel aus. In Gesprächen mit ihnen platzte mir jedesmal fast der Kragen, wenn sie sich kopfschüttelnd über die Entscheidung meines Großvaters ausließen, in einem ihrer Auffassung nach so antisemitischen Land wie England zu leben.
    »Und was ist mit Benjamin Disraeli?« gab ich provozierend zurück. »Der war vor mehr als einhundert Jahren britischer Premier. Er vermachte Königin Viktoria den Suez-Kanal und einen Kaiserinnen-Titel. Er selbst starb als Graf. Wann ist es denn soweit, daß in Amerika der erste jüdischePräsident vereidigt wird?« Wobei ich natürlich wohlweislich verschwieg, daß Disraelis Vater zum Christentum konvertiert war. »Oder nehmen wir Rufus Isaacs«, ereiferte ich mich. »Präsidenten und Potentaten mußten sich vor ihm verneigen und ihn mit ›Euer Hoheit‹ ansprechen, als er Vizekönig von Indien war. Er starb als Marquis. Margaret Thatchers halbes Kabinett besteht aus Juden. Noch vor wenigen Jahren hat der New York Athletic Club Juden die Aufnahme verweigert.
    Könnt ihr euch eine derart dreiste und widerliche Diskriminierung bei einem Londoner Club vorstellen?«
    In solchen Momenten war ich ganz und gar selbstgerecht und pathetisch. Sie kamen mir dann womöglich mit Einwänden über die Weigerung der Briten während des Kriegs, die Abgründe des nationalsozialistischen Antisemitismus wirklich wahrhaben zu wollen, oder mit der britischen

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