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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Abwicklung des Palästina-Mandats.
    Ich fühle mich nicht dazu berufen, darauf eine qualifizierte Antwort zu geben. Genausowenig hege ich jedoch den geringsten Zweifel, daß es so etwas wie eine spezifisch britische Form des Antisemitismus gibt. Es war bereits die Rede davon, in welch eigentümlicher Weise das Wort clever in Zusammenhang mit Männern wie Jonathan Miller oder Freddie Raphael gebraucht wird. Die Juden sind, genau wie die Homosexuellen, eben nicht ganz gesund . Sie gehören zur Parade jener blassen, cleveren Männer, die die gesunde Welt zur Jahrhundertwende mit ihrem Gerede von Relativität und Zweifel und ihren abstrusen Ideen eines Geschichtsdeterminismus und eines gespaltenen Selbst in Verwirrung stürzten. Einstein, Marx und Freud nahmen uns die alte gesunde Schuld, die vom Garten Eden und dem Kreuz herrührte und die die westliche Kultur erfolgreich von allem Jüdischen gereinigt hatte, um uns anschließend einen ganzen Satz neuer Schuldgefühle aufzuschwatzen, bei denen es mit einer anständigen kalten Dusche oder einem Rugbyspiel nicht mehr getanwar. Schlimmer noch, der perverse Schweinigel sah sich die kalte Dusche oder das Rugbyspiel vermutlich genauer an und las alle möglichen schweinischen Dinge in sie hinein, eben die Dinge, die nur ein blasser, ungesunder Außenseiter auszubrüten imstande ist. Die lesen doch alles in jede noch so harmlose Beschäftigung hinein, diese Juden und warmen Brüder. Was, bitte schön, ist denn die Lieblingsbeschäftigung der Intellektuellen, wenn nicht ständig etwas in die Dinge hineinzulesen . Und wenn mein Latein nicht ganz umsonst gewesen ist, bedeutet intellektuell nicht sogar »hineinlesen«? Da haben wir’s doch. Heute traut sich doch nur keiner mehr, den Dingen ins Auge zu sehen und sie beim richtigen Namen zu nennen. Da haben wir dann die Intellektuellen auf der Linken, die Intellektuellen auf der Rechten, und alle lesen sie fleißig. Diese widerliche, ungesunde Schweinebrut.
    Zugegeben, keiner redet heute mehr in diesem Stil eines John Buchan, doch der Geist beziehungsweise Ungeist ist nach wie vor vorhanden: so präsent, so virulent und so falsch wie eh und je. In den Augen einiger Leute beherrschen die Juden nach wie vor den ungemein cleveren Trick, sowohl für den Kapitalismus und seine negativen Exzesse verantwortlich zu sein, indem sie die Banken und Finanzeinrichtungen kontrollieren, als auch für den Sozialismus und das liberale Denken, die ihrerseits die Stabilität des Kapitalismus und des freien Marktes untergraben. Und alles nur wegen ihrer verdammten Thora und dem verfluchten Talmud , die dafür sorgen, daß sie ständig etwas in die Dinge hineinlesen und sich eine gewitzte, hyperclevere Rabbinerschläue zulegen.
    Die Schüler in Uppingham wurden ganz bestimmt nicht darauf getrimmt, zuviel in die Dinge hineinzulesen. Die Lehrer mit Geist und Verstand hatten mehr als genug zu tun, ihre Zöglinge durch die O-Level-Prüfungen zu bringen, als daß sie sich noch mit wirklichen Ideen hätten abgeben können. Sie gaben sich alle Mühe, doch wie leicht vergißt man, um wieviel mehr der Korpsgeist einer Klasse gegen den einzelnenIntellekt eines Lehrers ausrichten kann. Für uns Schüler war es wesentlich einfacher, einen Lehrer als zu anspruchsvoll hinzustellen, als daß ein Lehrer einen Schüler als geistig träge bezeichnen durfte. Ich kann mich tatsächlich noch an endlose Diskussionen (siehe da, schon wieder eine Lieblingsbeschäftigung von euch Juden ... endlose Diskussionen) mit meinen Mitschülern erinnern, in denen es um das schwere Vergehen ging, »zuviel in die Dinge hineinzulesen«. Zum Standardrepertoire gesunder Jugendlicher gehören Sprüche wie: »Wenn man es darauf anlegt, kann man alles und jedes in einen Text hineinlesen. Man braucht sich doch nur diesen ganzen Shakespeare-Quatsch anzusehen. Also wenn da nicht das Blaue vom Himmel reininterpretiert wird. Ihr werdet’s nicht glauben, Braddy laberte uns heute in Englisch die Ohren voll von Hamlet und seiner Mutter und erwähnte in dem Zusammenhang auch den Namen Freud ... Da fragt man sich, ist der Kerl blöd? Hat der nicht mitbekommen, daß Freud einige hundert Jahre später geboren wurde und Shakespeare absolut keine Ahnung von Ödipus-Komplexen und dem ganzen übrigen Schwachsinn haben konnte? Und dann zahlen unsere Eltern ein Heidengeld für Leute, die so einen geistigen Dünnschiß verbreiten?«
    Es wäre gemein, sich über eine derartige geistige Beschränktheit und

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