01 - Der Ring der Nibelungen
Säugling entdeckt, dessen große helle Augen sichtlich nicht hunnischen Ursprungs waren. »Ist er das?«
Kriemhild trat an seine Seite, und mit Liebe im Blick nahm sie den kleinen Jungen hoch. »Das ist er. Euer Neffe, mein Sohn - Siegfrieds Sohn.«
Gunther besah sich den Knaben, heitere Freude heuchelnd, auch wenn er einen Knüppel sich herbeisehnte. »Wie ist sein Name?«
»Er trägt den einzigen Namen, den er tragen kann - Siegfried«, erklärte Kriemhild.
Der Herrscher von Burgund erbleichte und legte seine Hand auf den kleinen Körper, damit auch auf die Hand seiner Schwester. Es war ein Moment des familiären Friedens, wie er ihn sich erhofft hatte. Eher beiläufig fiel ihm der Ring auf, den Kriemhild trug. »Du trägst das Gold der Nibelungen noch am Leib? Nach allem Unglück, das es uns gebracht hat?«
Sie sah ihn an, fast schon überrascht. »Das Gold? Gunther, die Gier brachte das Gold, nicht umgekehrt. Und heute ist der Ring nicht mehr als eine Erinnerung an vergangenes Glück.«
Ein drittes Gesicht beugte sich über den Knaben - Hagen. »Kind wie Ring sind verflucht durch Siegfrieds Blut und Namen. Beidem werden wir uns widmen müssen.«
»Vielleicht wäre es ratsam, wenn ich den Ring mit nach Burgund zurücknehme«, schlug Gunther mit gepresster Stimme vor.
Seine Schwester zog ihre Hand zurück. »Ich nahm ihn mit Absicht von dort fort, und meine Meinung hat sich nicht geändert.«
Der König wollte etwas sagen, doch bevor ihm die Worte über die Lippen kamen, verzog er das Gesicht im Schmerz. Der kleine Siegfried hatte seinen Daumen gepackt, und seine winzigen Hände pressten Gunthers Finger so stark, dass dieser meinte, der Knochen würde ihm brechen. Mühsam wand sich Gunther aus dem Griff des Kindes, das aus schierer Neugier zu handeln schien und dabei lächelte.
Etzel klatschte in die Hände. »Es ist Zeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Um Mitternacht, wenn Kriemhild Königin meines Reiches und meines Herzens wird, soll alles vergessen sein, was war. Und dann werden wir den Beginn eines neuen Zeitalters feiern.«
Es war ein Fest, das so ausgelassen wie ruhig war. Die Hunnen hatten keinen Sinn für Musik, und so war die Melodie des Abends ein gleichmäßiges Murmeln der ungefähr zweihundert Männer und Frauen, die sich in dem riesigen Zelt verteilten. Während Wein und Bier in gleichmäßigem Strom flossen, kamen Fleisch und Brot schubweise, wann immer man danach rief. Die Wärme der Fackeln fing sich an den Fellen, und bald trugen die Männer nur noch Hosen und leichte Hemden. Stiefel und Jacken landeten auf großen Stapeln, und mit zunehmender Freundschaft auch die Waffen. Irgendwann wurde das hölzerne Tor geöffnet und einige Felle von der Außenwand genommen, um eine erträgliche Brise durch das Zelt wehen zu lassen.
Trotz ihrer anfänglichen Verstimmung verstanden sich Etzel und Gunther so gut, dass Kriemhild ebenso wie Hagen immer wieder einen finsteren Blick in Richtung der Könige warfen. Der Herrscher von Burgund fand im Steppenkrieger endlich wieder einen gleichen Geist, und mehrfach winkte er unauffällig seinen Ratgeber weg, wenn dieser sich mit warnenden Worten nähern wollte.
Als Kriemhild ihrem Sohn wieder die Brust gab, gesellte sich Gernot zu ihr auf das Fell. »Ich bin froh, dich unter Freunden zu sehen, geliebte Schwester. Xanten muss sehr einsam für dich gewesen sein.«
Sie schüttelte den Kopf. »Es gab so viel zu tun, da blieb für trübe Gedanken kaum Zeit. Aber Xanten ist das Erbe Siegfrieds, nicht das meine. Und es konnte kein Werkzeug für mich sein.«
»Werkzeug?«
Kriemhild lächelte ihren Sohn an, als sie weitersprach. »Es ist nicht wichtig. Was kommt, das kommt.«
Die vagen Worte beunruhigten Gernot. »Frieden wird kommen, und die wiedergefundene Liebe der Familie. Wir alle wollen nichts anderes mehr - auch Gunther.«
Als das Kind gestillt war, strich Kriemhild Gernot über die Wange. »Mach dir keine Sorgen, geliebter Bruder.«
Er hielt ihre Hand fest, die den Ring der Nibelungen trug. »Auch Elsa sprach vom Fluch des Golds, das zu Unrecht aus dem Wald genommen wurde.«
Kriemhilds Blick wurde eisig. »Sprich nicht von ihr, noch von dem Gold.«
Gernot schlug die Augen nieder. »Verzeih.«
Sie lächelte schnell wieder, um seine Sorgen zu zerstreuen. »Lieber Bruder, es gibt nichts zu verzeihen. Doch einen Gefallen könntest du mir tun.«
»Jeden.«
Sie schaukelte das Kind in ihrem Arm. »Ich möchte, dass Siegfried heute Nacht
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