01 - Die verbotene Oase - Mein neues Leben im Harem der Frauen
weiten Weg zu uns zurückgelegt haben - rund 1000 Kilometer? Was hatte sie zu einer solch strapaziösen Flucht veranlasst?
Ich konnte unsere Weihnachtsfeier, über die mein Sohn sich so freute, mit einem Mal kaum noch genießen. Meine Gedanken waren bei Efe und ihrem Jungen, dessen Namen ich nicht einmal kannte. Später schlich ich mich leise in mein Zimmer, wo die beiden schliefen. Vorsichtig ließ ich mich neben dem Jungen nieder.
Meine Lehrerin Ezira hat mich während meiner Ausbildung zur Heilerin gelehrt, wie man einen Schlafenden untersucht, ohne ihn zu wecken: Jeden Menschen umgibt ein unsichtbares
Energiefeld, in das man eintauchen kann. Bei Erwachsenen ist das schwerer als bei Kindern.
Als ich danach das Zimmer verließ, blickte ich in Mama Bisis besorgte Augen.
Sie las in meinem Blick Kummer und Hilflosigkeit, denn sie kennt mich wie kein anderer Mensch. „Es steht nicht gut um den Jungen, nicht wahr?“, fragte sie.
Ich schüttelte stumm den Kopf.
„Bitte, meine Kleine, sag mir, was los ist.“
„Auch, wenn es schrecklich ist?“ Sie nickte. „Wir können nur sein Leiden lindern, Mama Bisi. Mehr nicht.“ Wie es aussah, mussten wir glücklich sein, dass die beiden es überhaupt bis zu uns geschafft hatten.
Ich bat Bisi, kühlende Wadenwickel vorzubereiten, und besorgte einige Knospen des Blutbaums, der direkt neben unserem Brunnen wuchs.
Das ist eine süße Medizin, die die Natur kostenlos für uns bereithält. Man kann damit Fieber senken und Schmerzen lindern.
Efes Sohn reagierte auf die Behandlung mit leisem Schluchzen. Ich stand vor einem kaum zu lösenden Konflikt. Mein Josh war etwa gleichaltrig, wenn auch wesentlich kräftiger. Sollte ich mich über das klagende Weinen von Efes Sohn einfach hinwegsetzen? Obwohl ich spürte, dass ich ihm eigentlich nicht helfen konnte?
Erschöpft beobachtete Efe unsere Bemühungen. „Ich glaube, Gott holt Jo zu sich“, flüsterte sie.
„Er stirbt nicht, Efe. Es ist eine Krise, eine Prüfung vielleicht“, beruhigte ich sie.
Das Kind, um dessen Leben wir bangten, hieß also Jo. Nachdem ich das erfahren hatte, konnte ich mich kaum noch konzentrieren. Efe hatte ihren Sohn nach ihrem verstorbenen Bruder benannt. Mein Vater, Papa David, hatte 48
Ehefrauen, wovon meine Mutter die 33. gewesen war. 76 Halbgeschwister hatte ich kennen gelernt. Doch Jo war der einzige Bruder, der mir alles bedeutet hatte.
„Es ist Weihnachten, Choga, geh zu Joshua. Er braucht dich jetzt auch.“ Die warme Stimme Mama Bisis zerriss die Nebel meiner Erinnerung. Zerstreut ging ich hinaus. In der Eingangshalle wurde gelacht und gesungen. Keine der Frauen ahnte, wie ernst es nebenan um den kleinen Jo stand. Sie sollten es auch nicht wissen.
Wir leben mit dem Tod; er wohnt in uns. Doch nichts ist schlimmer als die Erkenntnis, dass wir schwächer sind als er. Dies ausgerechnet an einem solchen Festtag vor Augen geführt zu bekommen ist mehr, als man ertragen kann. Ich liebe meinen Sohn, und der Gedanke, ihn so früh verlieren zu können, wie es anscheinend Jos Schicksal vorsah, ließ mich Weihnachten unter einer Glocke aus Angst und Schmerz verbringen.
Ich bin Heilerin geworden, um anderen zu helfen. Ja, in erster Linie wegen Josh. Das war der wahre Grund, weshalb ich knapp zwei Jahre nach seiner Geburt gemeinsam mit ihm zu der weisen Ezira gegangen bin. Dank der Vermittlung von Mutters Freundin, der weisen Amara, war das damals reibungslos möglich. Meine Lehrerin hatte mir in jener Lehrzeit etwas gesagt, das mir während des Weihnachtsfests nicht mehr aus dem Kopf ging: „Wir werden immer nur Menschen bleiben, die versuchen zu helfen. Selbst wenn du dein Bestes gibst, kannst du das Schicksal nicht beeinflussen. Es wurde geschrieben, bevor du eingreifen kannst. Deshalb geh an deine Arbeit mit der Demut einer Dienerin, die sich mit den Kräften des Schicksals arrangiert.“
Mein Sohn hatte bereits die erste Lungenentzündung, als er ein Jahr alt war.
Ich gebe nichts auf die Statistiken der westlichen Medizin, denen zufolge er schon nicht mehr leben würde. Wir haben unseren eigenen Weg gefunden, mit der Krankheit zu leben. Ein Tee stärkt unsere Abwehrkräfte. Jene meiner Gefährtinnen, die ihrer Kinder und meine. Wir führen, abgesehen von der regelmäßigen Einnahme des Tees, ein fast normales Leben. Ich vermutete, dass der kleine Jo ebenfalls Aids hatte. Doch was war mit Efe? War sie auch infiziert?
In den von meinem Vater gegründeten Familien herrschte Polygamie,
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