01 - Die verbotene Oase - Mein neues Leben im Harem der Frauen
Das Buch
„Irgendetwas geht da draußen vor sich. Ich fühle mich unbehaglich. Jetzt wünsche ich mir nur eines: eine hohe Mauer, die uns alle schützt. Unser Schicksal verurteilt uns zu einem Leben hinter hohen Mauern wie in Vaters Harem. Alles andere war ein schöner Traum, der mit der Wirklichkeit nichts zu tun hatte.“
Zusammen mit einigen Gefährtinnen aus dem Harem ihres Vaters und ihrer deutschen Halbschwester lebt Choga Regina Egbeme auf einer alten Farm in der Nähe des Jos-Plateaus in Nigeria. Mit aller Kraft haben sie das Land wieder fruchtbar gemacht und gewähren auch anderen Hilfe suchenden Frauen Schutz in ihrer starken Gemeinschaft. Doch ihr abgeschiedenes Paradies wird von mehreren Seiten bedroht. Täglich kämpft Choga mit den Mitteln einer Heilerin gegen Krankheit und Tod an, denn fast alle ihre Gefährtinnen verbindet ein Schicksal: Sie sind HIV-positiv. Zugleich stößt die Frauengemeinschaft auf große Ablehnung in der radikal islamischen Nachbarschaft - es kommt zu brutalen Überfällen und Angriffen. Die Frauen jedoch geben nicht auf ...
Gruß an einen neuen Tag
Die Sonne schickt die ersten Strahlen über den Horizont. Ich wende ihr das Gesicht zu, atme tief ein und nehme ihre Wärme auf. Unter den nackten Füßen spüre ich die kühle, leicht feuchte Erde. Ein sanfter Morgenwind streichelt meine Haut und meine Haare. Ich genieße diesen Augenblick. Einem Schmuckstein gleich füge ich ihn der Kette all meiner Tage hinzu. Danach gehe ich zum Brunnen, schöpfe etwas Wasser und wasche mein Gesicht.
„Suche die Verbindung mit den Elementen, aus denen du geformt bist, bevor du das Werk eines Tages beginnst“, hat mir meine Lehrerin Ezira geraten, als sie mich zur Heilerin ausbildete. „Sie geben dir die Stärke, die du brauchst.“
Die Zeit vom Dezember 2000 bis November 2001 hat mein Leben verändert.
Mein Sohn Josh ist dem Tode knapp entronnen. Ich selbst weiß jetzt, dass ich an Aids erkrankt bin. Viele meiner Gefährtinnen sind HIV-positiv. Sie alle fragen sich: Warum gerade ich? Es gibt darauf keine Antwort, die ein Mensch geben könnte. Wir haben nur eine Möglichkeit, damit umzugehen: dankbar zu sein für jeden neuen Tag.
Jeba, im September 2002 Choga Regina Egbeme
Besuch zu Weihnachten
Eine Gruppe von Frauen und Kindern, die nach eigenen Regeln lebt, verkörpert nicht eben das Idealbild einer nigerianischen Familie. Erst recht nicht auf dem Dorf, wo Patriarchen das uneingeschränkte Sagen haben: Völlig ohne Mann gilt eine Frau praktisch nichts.
Dass die Mehrzahl von uns HIV-positiv war, hüteten wir daher als unser Geheimnis und mieden auch weitgehend den Kontakt zu unseren Nachbarn, die ohnehin knapp eine halbe Stunde Fußmarsch entfernt wohnten.
Die Eingangshalle unseres Farmhauses, das sich ursprünglich ein Engländer vor Jahrzehnten hatte erbauen lassen, war weihnachtlich geschmückt. Aus grünen Zweigen hatten wir Girlanden gemacht, auf den Tischen standen Kerzen. Alle Kinder erwarteten selbst gebastelte Geschenke. Die Speisen hingegen unterschieden sich nicht besonders von der alltäglichen Kost. Mama Ngozi, nach Bisi die Zweitälteste, hatte jedoch drei unserer liebevoll großgepäppelten Hühner geschlachtet. Das Haus war voller Lachen und Fröhlichkeit. Unsere gelöste Weihnachtsstimmung zeigte, dass wir aus dem Gröbsten raus waren.
Die vergangenen acht Monate waren hart gewesen. Ostern 2000 waren wir auf der Farm in Jeba angekommen, auf der ich als Kind schon einmal gelebt hatte.
Meine deutsche Mutter Lisa Hofmayer hatte sie mir kurz vor ihrem Tod überschrieben. Das zu ihren Zeiten liebevoll gepflegte Juwel auf der Hochebene des Jos-Plateaus in Zentralnigeria fanden wir völlig verwahrlost vor
- die Felder verwildert, das Haus verfallen. Jahrelang hatte niemand hier gelebt.
Mama Ngozi und ihre Schwester Mama Funke hatten sich nur gelegentlich darum kümmern können, während sie bei ihren Töchtern in der Nachbarschaft gewohnt hatten. Entsprechend hart hatten wir um unsere neue Existenz kämpfen müssen. Das Land war hier zwar sehr fruchtbar, aber kaum eine meiner Gefährtinnen war an schwere Feldarbeit gewöhnt.
Bis auf vier sind wir alle aus der Millionenstadt Lagos gekommen. Außer mir hatte niemand eine Ausbildung; meine Gefährtinnen hätten das Leben von Bettlerinnen führen müssen. Ngozi und Funke hatten nie im Harem meines Vaters in Lagos gelebt. Erst unsere Rückkehr auf die Farm nach Jeba hatte uns wieder zusammengeführt. Dabei brachten sie
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