01 - Nicht ohne meine Tochter
Nicht ohne meine Tochter
Meine Tochter war auf ihrem Fensterplatz an Bord der Maschine der British Airways eingenickt. Ihre rotbraunen Locken umrahmten ihr Gesicht und fielen ungebändigt bis zu ihren Schultern herunter. Sie waren noch nie geschnitten worden.
Wir schrieben den 3. August 1984.
Mein geliebtes Kind war von unserer langen Reise erschöpft. Am Mittwoch Morgen hatten wir Detroit verlassen, und als wir uns dem Ende dieses letzten Reiseabschnitts näherten, ging die Sonne bereits zum Freitag auf.
Moody, mein Mann, blickte von den Seiten seines Buches, das auf seinem Schoß ruhte, auf. Er schob die Brille auf seine höher werdende Stirn. »Du machst dich jetzt besser fertig«, sagte er.
Ich öffnete meinen Sicherheitsgurt, nahm meine Handtasche und machte mich auf den Weg durch den schmalen Gang zur Toilette im Heck des Flugzeugs. Das Personal war schon dabei, die Abfälle einzusammeln und die Landung vorzubereiten.
Es ist ein Fehler, sagte ich mir. Wenn ich bloß auf der Stelle aus diesem Flugzeug aussteigen könnte. Ich schloss mich in der Toilette ein und sah im Spiegel eine Frau an der Grenze zur Panik. Ich war gerade neununddreißig geworden, und in dem Alter sollte eine Frau ihr Leben im Griff haben. Wie, fragte ich mich, hatte ich die Kontrolle verloren?
Ich frischte mein Make-up auf, um möglichst gut auszusehen und um mich abzulenken. Ich wollte nicht hier sein, aber ich war hier, also musste ich das Beste daraus machen. Vielleicht würden diese zwei Wochen ja schnell vorübergehen. Wenn wir wieder zu Hause in Detroit waren, würde Mahtab in die Vorschulklasse einer Montessori-Schule in der Vorstadt kommen. Moody würde sich wieder in seine Arbeit vertiefen. Wir würden den Bau unseres Traumhauses in Angriff nehmen. Du musst nur diese beiden Wochen durchstehen, sagte ich mir.
Ich suchte in meiner Handtasche nach der dicken schwarzen Strumpfhose, die ich auf Moodys Anweisung hin gekauft hatte. Ich zog sie an und strich den Rock meines konservativen dunkelgrünen Kostüms glatt. Noch einmal betrachtete ich mein Spiegelbild und verwarf den Gedanken, mir mit der Bürste durch mein braunes Haar zu fahren.
Wozu der Aufwand?, fragte ich mich. Ich band das dicke grüne Kopftuch um, das ich, wie Moody gesagt hatte, immer tragen musste, wenn wir aus dem Haus gingen. Mit dem Knoten unter dem Kinn sah ich aus wie eine alte Bauersfrau.
Prüfend betrachtete ich meine Brille. Ich fand mich ohne sie attraktiver. Es war die Frage, wie sehr ich Moodys Familie beeindrucken oder wie viel ich von diesem problembeladenen Land sehen wollte. Ich ließ die Brille auf, da ich einsah, dass das Kopftuch schon irreparablen Schaden angerichtet hatte. Schließlich kehrte ich zu meinem Platz zurück.
»Ich habe mir überlegt, dass wir unsere amerikanischen Pässe besser verstecken sollten.«, sagte Moody. »Wenn sie die finden, werden sie sie uns wegnehmen. »Was sollen wir denn tun?«, fragte ich. Moody zögerte. »Deine Handtasche werden sie durchsuchen, weil du Amerikanerin bist.«, sagte er. »Gib mir die Pässe. Mich werden sie kaum visitieren.«
Das war vermutlich richtig, denn mein Mann gehörte in seiner Heimat zu einer berühmten Familie, eine Tatsache, die sich schon aus seinem Namen ersehen ließ. Persische Namen haben - jeder für sich - eine besondere Bedeutung, und jeder Iraner konnte aus Moodys vollem Namen - Sayyed Bozorg Mahmoody - eine Menge schließen. »Sayyed« ist ein religiöser Titel, der auf einen direkten Nachkommen des Propheten Mohammed auf beiden Seiten der Familie hinweist, und Moody besaß einen komplizierten, in Farsi geschriebenen Stammbaum, um dies zu untermauern. Seine Eltern hatten ihm den Namen »Bozorg« gegeben, in der Hoffnung, er werde die Größe, Würde und Ehre eines Tages erlangen, die der Name verheißt. Der Familienname hatte eigentlich Hakim gelautet, aber Moody wurde um die Zeit geboren, als der Schah ein Edikt erließ, das islamische Namen wie diesen verbot, sodass Moodys Vater den Familiennamen in Mahmoody änderte, was eher persisch als islamisch ist. Er ist von Mahmud, was soviel wie »der Gepriesene« bedeutet, abgeleitet. Zum Glanz seines Namens kam noch das Prestige der Ausbildung. Obgleich Moodys Landsleute offiziell alles Amerikanische hassen, genießt das amerikanische Erziehungssystem bei ihnen hohes Ansehen. Als ein in Amerika ausgebildeter Arzt würde Moody ganz sicher zur privilegierten Elite seiner Heimat zählen. Ich stöberte in meiner Handtasche,
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