0108 - Das Eisgefängnis
begannen zu zittern, und der Schweiß erschien wie eine glänzende Speckschicht auf seiner Stirn.
Seine Leibwächter merkten, was los war. Sie packten zu, denn ihr Boß wäre sonst gefallen.
Auch die anderen wurden aufmerksam.
»Was ist denn, Julio?« fragte der Don aus Neapel.
Der Neapolitaner stöhnte nur.
»Schnell, ein Glas Wasser«, rief einer der Leibwächter.
»Nein, nicht, kein Wasser«, ächzte Don Julio. »Ich… ich habe etwas gesehen.«
»Was denn?«
»Der Tote… unser Freund Solo … er hat sich bewegt! Er lebt!«
Plötzlich bäumte sich der Don unter den Griffen seiner Leibwächter auf und schrie. »Er lebt, der Tote lebt!!!«
Seine Stimme hallte über den Platz.
Die Menschen zuckten zusammen, lauschten dem Echo, dann reagierten sie.
Sämtliche Blicke richteten sich nach vorn. Die hinteren Zuschauer drängelten, sie wollten ebensoviel sehen wie die vor ihnen stehenden.
Fragen wanderten von Mund zu Mund. Niemand wußte etwas Genaues.
Der Priester war stehengeblieben. Ein letztes Klingeln der Glocken in den Händen der Meßdiener, danach Stille.
Dafür rutschten die Hände der Leibwächter in die Ausschnitte der Jacketts. Verschwitzte Finger berührten die Kolben der Waffen.
Zwei Kerle, breit gebaut und mit finsteren Gesichtern, traten vor und schützten ihren Boß mit ihren Körpern.
Solo Morasso lag in seinem Sarg und bekam die Szene durch das Sichtfenster mit.
Er lachte. Schon jetzt weidete er sich an der Angst eines einzelnen und an der Ratlosigkeit der Leibwächter.
Dr. Tod spürte die Kraft in seinem Innern, eine immense Kraft, die ihn antrieb und die er voll und ganz ausnutzen wollte.
Und jetzt sahen auch andere, daß etwas mit der Leiche nicht stimmte.
Spitz und grell schrie eine Frau.
»Er lebt, er lebt! Hilfe, er lebt!« kreischte sie. Die Frau riß die Hände vor ihr Gesicht und fiel auf die Knie. Ihr Schrei alarmierte auch die anderen Zuschauer.
Plötzlich hielten die Leibwächter Waffen in den Händen. Im Nu entstand ein wildes Durcheinander.
Der Pfarrer und die Meßdiener zogen sich zurück. Die hinteren Menschen drängten nach vorn.
Der Beginn einer Panik stand dicht bevor…
Es war direkt ein Wunder, daß noch kein Schuß gefallen war. Dafür wurden die ersten Menschen zu Boden gestoßen. Zuerst die schwächeren Frauen, die Kinder brachten sich zum Glück in Sicherheit, einige besonders mutige Männer näherten sich mit schußbereiten Waffen dem auf der Plattform stehenden Sarg.
Sie stiegen die Holzstufen hoch. Es waren die vier Träger, Solo Morassos engste Leibwächter.
Langsam kamen sie näher…
Morasso, alias Dr. Tod, hatte alles mitbekommen. Er sah den Beginn der Panik, freute sich über das Chaos, und für ihn war es der rechte Augenblick, seine Kraft auszukosten.
Seine vier Getreuen standen dicht vor dem Sarg. Zwei bückten sich und wollten rechts und links in die luxuriöse Totenkiste hineinschauen.
Genau der richtige Moment für Dr. Tod.
Er winkelte die Arme an, legte sich flach unter den Deckel, nahm all seine neu gewonnene Kraft zusammen und drückte mit einem Ruck den Sargdeckel hoch…
***
Wie vom Katapult geschleudert, flog das schwere Oberteil in die Luft. Es gab einen Knall, als die Halterungen gesprengt wurden.
Die beiden Mafiosi, die sich gebückt hatten, fuhren mit einem gellenden Schrei auf den Lippen zur Seite.
Einer von ihnen verlor die Übersicht, kam bis an den Rand des Aufbaus, verpaßte ihn und trat ins Leere.
Er verschwand so rasch, als hätte ihn jemand mit einem Faustschlag heruntergeholt.
Bei den drei anderen blieb die Reaktion fast im Keim stecken.
Nur der zweite Mann richtete sich noch auf, dann starrte auch er wie seine beiden Kollegen auf Solo Morasso, der wie Phönix aus der Asche seinem Prunksarg entstieg.
Ein Toter, der lebte.
Solo Morasso stand auf.
Er stellte sich in seinen Sarg, hob drohend die Faust, und sein schauriges Gelächter gellte über die Köpfe der so zahlreich versammelten Menschen.
»Ich bin wieder da!« brüllte er. »Doktor Tod ist gekommen. Ich, Solo Morasso, alias Doktor Tod! Hütet euch, hütet euch vor mir!«
Wieder folgte ein schauriges Lachen.
Beides, das Lachen und seine Worte, wirkten als auslösendes Moment auf die Zuschauer.
Blitzschnell brach die Panik los.
Gellende Schreie stachen in den azurblauen Himmel. Nach allen Richtungen drängten die Massen fort. Keiner nahm mehr Rücksicht.
Die Leibwächter versuchten ihre Dons zu schützen, doch sie wurden kurzerhand über den
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